Ernst Haeckel an Wilhelm Peters, Messina, 17. März 1860

Messina 17. März 1860.

Hochverehrter Herr Professor!

Ihren freundlichen Brief vom 3. März habe ich am 13. durch Ihren Herrn Bruder richtig erhalten. Er kam gerade noch vor Thoresschluß, da ich bereits seit mehreren Tagen mit dem Einpacken der hier im Winter gesammelten Schätze beschäftigt war. Ich habe nun, Ihrem Wunsche zu genügen, sogleich noch eine kleine Blechkiste gepackt, in der ich das unterbrachte, was ich in der Eile von den erwünschten Sachen erlangen konnte, nämlich zwei schöne Exemplare von Brama Raji und einige große Cephalopoden, namentlich einen sehr großen Octopus und einige Loliginen. Ich habe das Kistchen direct an das zoologische Museum adressirt und es ist mit den übrigen Sachen bereits abgegangen. Da der Abgang des Schiffes, das die Sammlungen mitnehmen sollte, sich sehr übereilte, so hatte ich nicht mehr die Zeit, die einzelnen kleineren Sachen zu vertheilen und habe Alles, was ich für Sie, für die Museen von Helingsfors und Jena zusammengebracht, in einer gemeinsamen Sendung abgeschickt, die ich dann in Berlin erst ordnen und theilen werde und aus der Sie sich nach Belieben aussuchen können. Der beste Theil sind die feinen pelagischen Sachen, die hier so überaus häufig sind: Siphonophoren, Ctenophoren, Hydromedusen, Pteropoden und Heteropoden, Sagitta, Alciope, dann 3 Arten von den interessanten || Helmichthyden aus den Gattungen Leptocephalus, Helmichthys, Tilurus. Diese Sachen haben sich alle in Liquour conservativ ganz vortrefflich erhalten und hoffe ich, daß sie ebenso die lange Reise überstehen. Auch kleinere Fische habe ich viel gesammelt, von denen Sie gewiß Manches brauchen können, insbesondere viele schöne Scopelien. Dagegen sind mir mehrere der von Ihnen speciell gewünschten Arten nie zu Gesicht gekommen, namentlich der seltene Ruvettus specious, den auch Costa, der schon seit mehreren Jahren darauf Jagd machen läßt, nicht erlangen konnte. Der Fischmarkt war überhaupt in diesem Winter verhältnismäßig arm, da fast fortdauernd das schlechteste Wetter herrschte; ein beständiger Kampf des Boreas und Sirocco wühlte fast täglich die See so auf, daß nur selten auf Stunden jener klare Wasserspiegel erschien, der den Naturforschern und Fischern hier so reichen Fang liefert. Trotzdem kann ich für meine Person nicht klagen, da ich auch nicht einen einzigen Tag Mangel an Material hatte. Grade die interessantesten Formen der niederen Wirbellosen sind hier jederzeit fast, auch beim schlechtesten Wetter, immer ziemlich zahlreich zu erhalten und so haben mir auch die Thierchen, die bald mein ganzes Interesse und Studium in Anspruch nahmen, eigentlich niemals gefehlt. ||

Ich hatte anfangs hier die Absicht, meine in Neapel begonnenen vergleichend histologischen Untersuchungen fortzusetzen, und beschäftigte mich außerdem in den ersten Wochen besonders mit Sapphirinen und anderen niederen Krebsformen. Doch kam ich bald durch einen Zufall auf ein anderes Gebiet, welches mir so reiche Ausbeute lieferte, daß es bald alle anderen Unternehmungen in den Hintergrund drängte. Das sind die überaus zierlichen kieselschaaligen Radiolarien, zu deren von Johannes Müller angebahnter anatomischer Kenntniß ich noch manche Beiträge liefern konnte. Die in seinem letzten Werk beschriebenen 50 Arten fand ich zum größeren Theil wieder, außerdem über 100 neue, darunter auch neue Gattungen und sogar einige Familien. Die hier vorkommenden Arten übertreffen an zierlicher Gestaltung Alles mir Bekannte und werden gewiß noch Ihr Interesse in Anspruch nehmen. Je mehr ich fand, desto mehr fesselten sie mich, so daß ich zuletzt für andere Untersuchungen weder Zeit noch Geduld mehr hatte.

So habe ich auch leider den mir von Ihnen speciell aufgetragenen Fragen über die Bruttaschen der Syngnathen und den Hermaphroditismus der Serranen keine Berücksichtigung mehr schenken könnena. Solche Fragen muß man ebenso wie vergleichende histologische und feinere anatomische Untersuchungen an einem Orte treiben, wo man sich ganz speciell auf diese besondern Einzelheiten concentriren kann. ||

Messina ist dafür kein günstiger Ort. Die ganz außerordentliche Menge der verschiedensten und schönsten pelagischen Thiere, die der currente hier täglich in das Sichelbecken des Hafens führt, ist zu verlockend, um nicht alle wenigstens oberflächlich kennen zu lernen zu suchen, und ihre große Durchsichtigkeit zu verführerisch, um nicht längere Zeit mit dem Microscop dabei zu verweilen. Die Schwärme, in denen man hier die Pteropoden und Heteropoden, die Siphonophoren und Ctenophoren zuweilen fischt, übertreffen alle Vorstellungen, die ich sonst von den Heeren der pelagischen Thiere hatte, und ihre Mannichfaltigkeit ist so groß, daß man sich nur zu leicht dabei zerstreut. Daß ich nach so reichen und unschätzbaren Stunden des Naturgenusses und Studiums Messina nur sehr befriedigt und dankbar verlasse, können Sie denken. Auch hat mir die außerordentlich freundliche und zuvorkommende Aufnahme, die mir Ihr verehrter Herr Bruder hier zu Theil werden ließ, so viele angenehme Stunden bereitet, daß ich auch in anderer Beziehung eine höchst angenehme Erinnerung aus dem schönen Zancle mit fortnehme. Ich werde nun in Kurzem abreisen, mich einige Zeit in Paris aufhalten und Ende April nach Berlin zurückkehren. In der Hoffnung, Sie dort in erwünschtem Wohlsein wiederzusehen, bleibe ich hochachtungsvollst und ergebenst

Ihr Haeckel

a eingef.: können

Brief Metadaten

ID
41991
Gattung
Brief ohne Umschlag
Empfänger
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Italien
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
17.03.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
nicht ermittelt
Besitzende Institution
Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen
Signatur
Bestand: Zool. Mus., Sign.: S II, Haeckel, H., Bl. 1r-2v
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Peters, Wilhelm; Messina; 17.03.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_41991