Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Albert Kalthoff, Jena, 5. Januar 1906

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 5. Januar 1906.

Hochgeehrter Herr Doctor!

Sie werden heute durch Herrn Dr. Heinrich Schmidt die gedruckte Einladung erhalten haben, die an die 45 Unterzeichner unseres Aufrufs zur Gründung des „Deutschen Monistenbundes“ ergangen ist. Ich selbst kann leider an der constituirenden Konferenz, die hier am 11. Januar stattfinden soll, wegen meines leidenden Gesundheitszustandes nicht Teil nehmen, hoffe aber um so mehr, noch vorher mit Ihnen und Dr. Schmidt zusammen einige der wichtigsten Punkte besprechen zu können. || Ich lege persönlich auf Ihre active Mitwirkung und Initiative in dieser hochwichtigen Angelegenheit das größte Gewicht, und hoffe, daß Sie und Ihre beiden trefflichen Collegen in Bremen, die Pastoren Mauritz und Stendel, in dieser „Reformation des 20. Jahrhunderts“ eine führende Rolle spielen werden. Die Zeitverhältnisse sind jetzt für unsere monistische Reformbewegung äußerst günstig; tausende von Briefen und zustimmenden Mitteilungen haben mich fest überzeugt, daß die Anregungen meiner „Welträtsel“ tiefe und feste Wurzel geschlagen haben. || Je mehr in den großen deutschen Staaten – Preußen und Bayern voran – die absolutistische und clericale Reaction blüht, desto mehr regt sich der freie Geist und die unabhängige Vernunft in vielen kleineren Geistes-Centren – Bremen und Jena voran –.

Wir Naturforscher können aber nur den theoretischen Teil der monistischen Philosophie fördern, die ehrliche und mutige Erforschung der Wahrheit. Die schöne und große Aufgabe des praktischen Teils, die naturgemäße Anwendung derselben auf die Ethik, Sociologie und Paedagogik, muß von den frei denkenden ehrlichen Theologen und Lehrern gelöst werden. || Wenn es Ihnen möglich ist, möchte ich Sie bitten, am Donnerstag (11.1.) schon mit dem Frühzuge (7.15?) von Leipzig abzufahren; Sie sind dann um 10 (oder 10.15?) hier; meine Wohnung ist von der Haltestelle „Paradies“ nur wenige Minuten entfernt, das Hotel „Sonne“ (das wir Ihnen empfehlen) etwa 6 Minuten. Dr. Schmidt wird Sie an der Bahn empfangen und Näheres mit Ihnen verabreden. Wir könnten in meiner Wohnung von 10 (oder 11) bis 12 oder 1 Uhr conferiren. –

In beiliegender Broschüre von Gramzow dürfte Ihnen S. 480, 497, 503 von Interesse sein.

Mit besten Grüßen (– auch an die Herren Mauritz und Stendel –) hochachtungsvoll

Ihr ergebener

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.01.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsarchiv Bremen
Signatur
NL Kalthoff, 7,40-20
ID
41797