Bordighera 1.3.1904.
Pension Constantin.
Lieber alter Freund!
Durch Deinen liebenswürdigen Brief und Deine Beteiligung an der schönen Festschrift zum 16. Februar hast Du mir an meinem 70. Geburtstage eine ganz besondere Freude bereitet. Ich wollte Dir meinen herzlichsten Dank dafür schon vor 14 Tagen sagen, wurde aber dergestalt mit Briefen, Telegrammen und anderen freundlichen Gaben überschwemmt, daß ich kaum zur Besinnung kam. Dann kam das Einpacken von 6 Kisten mit Büchern, Instrumenten u.s.w., die von Rapallo (nach 4 monatlicher Arbeit) nach Jena zurückspedirt wurden. Endlich konnte ich mit meiner Frau (deren Gesundheit der Riviera-Winter gebessert hat) am 27. Rapallo verlassen und hierher nach der Riviera ponente übersiedeln. ||
Wir gedenken hier den ganzen März zu bleiben und ich hoffe endlich (nachdem ich eigentlich seit 1½ Jahren keine Ferien gehabt habe) einmal einen Monat dem ruhigen Naturgenuß zu widmen – teils mit Aufwärmen meiner alten botanischen Liebhabereien, an der Hand Deiner schönen „Botanischen Streifzüge“, teils mit Landschafts-Aquarelliren. Sollte Dich Deine Reiseroute über Bordighera führen, so würden meine Frau und ich uns ungemein freuen, hier einige Tage mit Dir zu verleben. Der März hat hier heute sehr unfreundlich angefangen, mit Schneefall, Hagel und 2° Reamur; indessen lacht bereits wieder die Sonne. Der Winter war überhaupt kalt und naß, in Rapallo am 19. Januar früh -5° Reamur Kälte! Mehrmals -2°. Jetzt muß es endlich wärmer werden.
Mit wiederholtem herzlichsten Dank und freundlichsten Grüßen
Dein treuer alter
Ernst Haeckel.
[Beilage: gedrucktes Dankschreiben zum 70. Geburtstag]
Aus Anlass meines siebzigsten Geburtstages sind mir heute sowohl aus dem Deutschen Vaterlande, wie vom Auslande, überaus zahlreiche Zeichen herzlicher und aufrichtiger Theilnahme zugegangen. Briefe und Telegramme, Bilder und Festschriften, Blumenspenden und andere Geschenke haben mich auf's Neue davon überzeugt, dass meine wissenschaftliche Lebensarbeit und Lehrthätigkeit nicht ohne Erfolg geblieben ist.
Diese wohlthuende Theilnahme so vieler und trefflicher Menschen nimmt mir einen Theil des drückenden Gefühles, das am Abend eines langen, vielbewegten und arbeitsfreudigen Lebens das Missverhältniss zwischen dem Erstrebten und dem Erreichten hervorruft.
Es ist mir das Glück zu Theil geworden, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eine der interessantesten Perioden in der Geschichte der Wissenschaft mitzuerleben und nach Kräften mich an deren Förderung zu betheiligen.
Vielen ausgezeichneten Männern, Lehrern und Schülern, bin ich dabei nahe getreten und zu Danke verpflichtet worden. Zu meinem aufrichtigen Bedauern ist es mir nicht möglich, diesen schätzbaren Mitarbeitern, sowie Allen die mich heute durch ihre Glückwünsche und Gaben erfreut haben, meinen Dank einzeln auszusprechen.
Ich bitte Sie daher, in diesen Zeilen den Ausdruck meiner herzlichen und bleibenden Dankbarkeit entgegen zu nehmen.
ERNST HAECKEL
Rapallo (Riviera di Levante)
16. Februar 1904.