Jena 8. Oct. 72
Lieber Freund!
Durch Deinen lieben Brief hast Du mich sehr erfreut. Ich habe in meiner Ferien-Einsamkeit oft an Dich gedacht, und oft gewünscht, Dich auf Deinen schönen Spaziergängen begleiten zu können. Statt dessen habe ich diese ganzen Ferien hier in dem todten Neste gesteckt. Von meiner Münchener Excursion kam ich (ziemlich befriedigt) ein paar Tage später, nachdem Du hier abgereist warst, zurück, und habe zunächst 3 Wochen stark hier in aller Stille gearbeitet. ||
Dann machte ich mit meiner Frau, um etwas Luft zu schöpfen, Anfangs September eine 3tägige Tour nach Reinhardtsbrunn. Das Wetter war gut. Jedoch erkältete ich mich stark und bekam einen eklichen Rheumatismus in den Fuß, welcher mich 4 Wochen lang am Gehen hinderte und zwang, ruhig zu Haus zu bleiben und zu arbeiten. Dann kam vor 8 Tagen der Umzug in unsere neue Wohnung, der gerade auch nicht zu den Vergnügungen zählte und mich bis heute in Athem erhalten hat. Mit dem Chaos meiner Bibliothek, die ich bei dieser Gelegenheit einmal gründlich ordnen muß bin ich noch nicht fertig. ||
Nächsten Sonntag will ich auf 14 Tage nach Potsdam zu meiner Mutter gehen, und hoffe dort endlich mit dem Spongien-Manuscript ganz fertig zu werden. Am 25. October kehre ich zurück und hoffe Dich dann munter wieder hier zu sehen. Am 28. beginnen die Vorlesungen. Gegenbaur war 8 Tage hier, ist aber wieder fort. Von Collegen habe ich noch Niemand gesehen, außer unseren neuen Kliniker, Leube. Im Übrigen ist von hier gar Nichts zu berichten. Das Nest ist wie ausgestorben. Auch die berühmte Bahnhofs-Frage schwebt noch in dem alten Dunkel. ||
Ich freue mich sehr, Dich wiederzusehen. Unser Institut kommt mir ohne Dich immer halb todt vor.
Dir und Deiner lieben Frau herzlichste Grüße von uns Beiden.
Dein treuer Haeckel
P.S. Kleinenberg ist zu Dohrn nach Neapel gegangen.
Unser Erb-Serenissimus hat seine Verlobung aufgelöst.