Ernst Haeckel an Heinrich Eggeling und weitere Gratulanten des goldenen Doktorjubiläums, Jena, 12. März 1907
Jena, 12. März 1907.
Aus Anlass meines goldenen Doktor-Jubiläums sind mir am 7. März d. J. überaus zahlreiche Glückwünsche und Beweise freundlicher Teilnahme von nah und fern zugegangen. Da ich zu meinem Bedauern nicht allen einzelnen Gebern und Gönnern persönlich meinen herzlichen Dank abstatten kann, bitte ich dieselben, ihn in diesen Zeilen entgegenzunehmen.
Als ich vor 50 Jahren in Berlin zum Dr. med. promoviert wurde und bald darauf das Medizinische Staatsexamen ablegte, konnte niemand die erstaunlichen Fortschritte ahnen, welche die biologischen Wissenschaften in dem nächstfolgenden halben Jahrhundert machen sollten, vor allem durch den siegreichen Einfluss des natürlichen Entwicklungs-Gedankens. Dass es auch mir vergönnt war, an dessen wissenschaftlicher Begründung und allgemeiner Verbreitung mit meinen besten Kräften mich zu beteiligen, betrachte ich jetzt als den erfreulichsten Teil meiner langen und kampfreichen Lebensarbeit. Den zahlreichen Freunden und Schülern, welche mich dabei wirksam unterstützt haben, gebührt noch mein besonderer Dank.
Da in vielen mir jetzt zugegangenen Zuschriften auch des neuen, im Beginne dieses Jahres begründeten „Phyletischen Museums in Jena“ teilnehmend gedacht wird, füge ich hier noch die Mitteilung an, dass dessen Bau – in unmittelbarer Nähe des jetzigen Zoologischen Institutes – demnächst be-||ginnen wird und im Laufe dieses Jahres vollendet werden soll. Als eigenartiges „Museum für Entwickelungslehre“ soll dieses „Phylogenetische Institut“ – eine „Phyletische Schausammlung“ – den weitesten Bildungskreisen durch zweckmäßige Schaustellung von Naturalien, Bildern und Präparaten die bedeutungsvollen Tatsachen der natürlichen Entwickelung – vor allem der Stammesgeschichte oder Phylogenie – vor Augen führen; diese geben nach meiner Überzeugung die sichersten Grundlagen für eine einheitliche, im besten Sinne monistische Weltanschauung. Die vernunftgemäße Religion, die daraus entspringt, beruht auf der harmonischen Verbindung von Kunst und Wissenschaft; ihr soll als Tempel unser Phyletisches Museum in Jena dienen.
Ernst Haeckel.