Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, Jena, 19. September 1913
Jena 19. September 1913.
Lieber Herr Doktor!
Heute sind 50 Jahre verflossen, seitdem ich auf der Naturforscher-Versammlung in Stettin meinen ersten Vortrag über die Entwickelungs-Theorie Darwins hielt – der erste gefährliche Schritt auf der verwegenen Laufbahn, die bald das wichtigste Ziel meines Lebens werden sollte. Daß Sie als mein treuer Schüler und Biograph dieses Gedenktages so freundlich gedacht und in Ihrem Aufsatze:„50 Jahre im Dienste der Entwicklungslehre“ eine so treffliche und wahrheitsgemäße Darstellung desselben gegeben haben, gereicht mir zur besonderen Freude und ich spreche Ihnen dafür meinen besonderen herzlichen Dank aus! ||
Tatsächlich ist dieses „eigenartige Jubiläum“ für mich wichtiger und für meine wissenschaftliche Lebensarbeit bedeutender, als das goldene Doktor-Jubiläum, das ich vor 6 Jahren feierte, und als andere Erinnerungstage der letzten Jahre. Denn daß ich damals den Mut hatte, als junger und unbekannter Dozent dem allgemein herrschenden dogmatischen Schöpfungsglauben entgegen zu treten und – allein auf meine feste Überzeugung bauend – die Abstammung des Menschen von anderen Wirbeltieren zu behaupten, wurde damals von den kurzsichtigen Fachgenossen ebenso bedauert, wie es mir anderseits die Veranlassung gab, 3 Jahre später die „berüchtigte“ Generelle Morphologie“ zu publizieren. ||
Falls der Satz Ihres Artikels noch steht, würde ich Sie bitten, mir (– auf meine Rechnung –) 100 Separat-Abzüge davon machen zu lassen; – andernfalls mir noch einige Exemplare der betreffenden Nummer Ihrer Zeitschrift zu senden. Daß diese letztere gut geht und Ihnen nicht allein die Freude des Erfolgs sondern auch finanziellen Gewinn bringt, ist mein herzlicher Wunsch. Ich empfehle Sie meinen zahlreichen Besuchern bei jeder Gelegenheit, als die beste unter vielen ähnlichen Zeitschriften. Hoffentlich ist Ihre Gesundheit wieder ganz hergestellt und gestattet Ihnen fortgesetzt erfolgreiche Arbeit.
Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen
treulichst Ihr alter
Ernst Haeckel.