Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, Jena, 26. Januar 1909

Zoologisches Institut

Der Universität Jena.

Jena 26.1.09.

Lieber Herr Doktor!

Sie irren sich vollständig, wenn Sie meinen, ich sei gegen Ihre Zeitschrift „Neue Weltanschauung“ gleichgültig oder „schneide“ sie gar. Das ist durchaus nicht der Fall; ich bin ja ihr „Mitglied“! (Ich beziehe sie durch Rassmann, Jena). Ich stehe aber unparteiisch zwischen Ihnen und dem „Deutschen Monistenbund“, dessen „Ehrenpraesident“ ich nun einmal bin (– auf Ihren Wunsch!) – und der mich dringendst gebeten hat, diese Stellung (– Etikette! –) nicht aufzugeben, der Sache halber; er wünscht auch beständig, ich möge ihm Beiträge schicken; ich kann aber keine Zeit finden! ||

Nun bin ich aber jetzt (mit 75 J.) zu dem Entschluß gekommen, meine publizistische Tätigkeit überhaupt aufzugeben. Was ich zu Gunsten des „Monismus“ und der Entwickelungslehre sagen konnte, habe ich oft wiederholt und bis zum Überdruß getan! Neue Gedanken kann mein altes, in zunehmender Rückbildung begriffenes Phronema überhaupt nicht mehr produciren. Das Gezänk über „Darwinismus“ etc habe ich gründlich satt, besonders nach den neuesten Erfahrungen mit dem miserablen Brass und dem jesuitischen „Keplerbunde“! Die „gefälschten Embryonen“ sind für den Sachkenner einfach lächerlich! ||

Am 10. Febr. halte ich meine letzte akademische Vorlesung, am 12. meinen letzten öffentl. Vortrag im „Volkshause“, über: „Das Weltbild von Darwin und Lamarck“. Den Verlag dieses Vortrages hatte ich schon früher Kröner zugesagt; er soll aber (aus besonderen Gründen) erst in der II. Febr. Hälfte erscheinen. Ob ich ihn vorher in Ihrer „Neuen Weltanschauung“ erscheinen lassen kann (– oder im „Monismus“, wie der „Deutsche Monistenbund wünschte –), kann ich noch nicht sagen. Das Manuskript ist noch nicht fertig und macht mir viel Not! Zu welchem Termin müßten Sie eventuell das Mscpt haben, und wann würde es publicirt werden? ||

In dem widerwärtigen Kampfe gegen den elenden Brass und seinen jesuitischen „Keplerbund“ werde ich mich fernerhin schweigend verhalten; man wird mit dieser schwarzen Gesellschaft niemals fertig! –

Daß die mystischen Neigungen der Münchener Monisten (Unold, Francé, Pauly) sie zum Spiritismus und Occultismus führen würden, habe ich schon lange befürchtet. –

Beifolgender Artikel von Dr. Endriss über „Das Flugproblem in der Natur“ können Sie vielleicht für Ihre Zeitschrift verwenden.

– Nächsten Freitag (29. 1.) halte ich meinen letzten Vortrag in der medicin. naturwiss. Gesellschaft (über „Psychologie der Radiolarien“).

Mit besten Grüßen

Ihr alter

E. Haeckel.

Brief Metadaten

ID
41083
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
26.01.1909
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Besitzende Institution
Archiv des Helmholtz-Gymnasiums Bielefeld
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Breitenbach, Wilhelm; Jena; 26.01.1909; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_41083