Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Walter de Gruyter, Jena, 17. Juli 1915

Herrn Dr W. de Gruyter

(Verlag Georg Reimer) Berlin.

Jena 17. Juli 1915.

Hochgeehrter Herr Doktor!

Seit vielen Jahren war es mein Wunsch (– und wurde auch von Freunden populärer Naturgeschichte mehrfach angeregt) ‒ daß ich die „Wunderwelt der Radiolarien“, so reich an den interessantesten Tatsachen und doch so wenig bekannt, durch eine allgemein verständliche Darstellung weiteren Bildungskreisen zugänglich machen möchte. Auch hatte ich bereits wiederholt den Ansatz zu einer solchen, mir persönlich sehr am Herzen liegenden Arbeit begonnen, zu welcher ich – als Verfasser einer doppelten Monographie dieser Tierklasse, von 1859 bis 1887 mit ihrem Studium beschäftigt, – mehr als jeder Andere berufen erscheine. Es fehlte mir aber immer an der notwendigen Zeit und Muße zur Ausführung dieser Lieblings-Arbeit, da andere, wichtigere Aufgaben meine ganze Arbeitskraft fesselten. ||

Jetzt am Ende meiner Lebens-Arbeit bietet sich endlich eine willkommene Gelegenheit, den schönen Plan in angemessener Weise zur Ausführung zu bringen. Meine älteste Enkelin Else Meyer (21 Jahre alt, Tochter des Geographen Prof. Hans Meyer und meiner Tochter Lisbeth), welche seit 3 Monaten, seit dem Tode meiner Frau, bei mir hier wohnt und meinem Haushalt vorsteht, ist bereit und befähigt, mit meiner Hilfe und unter meiner ständigen Aufsicht das Buch demnächst zu schreiben. Sie ist ein ungewöhnlich begabtes Mädchen, von leidenschaftlicher Liebe und tiefem Verständnis für die Natur erfüllt, hat seit 4 Jahren bei mir und bei Professor Chun in Leipzig (der sie außerordentlich schätzte) Zoologie studiert und mikroskopiert, schreibt sehr gewandt und hat mit Begeisterung meinen Vorschlag aufgenommen; sie wird ihn sicherlich gut und erfolgreich ausführen. Der Titel des projectirten Buches würde etwa folgendermaßen lauten: ||

Strahlinge.

Eine gemeinverständliche Einführung in die Naturgeschichte der Radiolarien.

Nach persönlichen Mitteilungen von

Ernst Haeckel

und auf Grund seiner Monographie dieser Tierklasse dargestellt a (mit 200 Abbildungen) b von

Else Meyer-Haeckel.

Gedacht ist an einen Oktavband von 300-400 Seiten, an 200-300 Text-Figuren, sämmtlich aus der in Ihrem Verlage 1862-1887 erschienenen Monographie (billig in Autotypie herzustellen). Auf Honorar würden wir Beide verzichten, oder eventuell den Reinertrag zu einem patriotischen Zwecke verwenden („Rotes Kreuz“, Invaliden-Hilfe), da wir dem Buche, seines reichen und eigenartigen Inhalts wegen, weite Verbreitung zu geben wünschen. Da Sie als Verleger der Monographie, und in c wirksamer Reklame für dieselbe, an dem populären Buche das nächste Interesse haben, bin ich gern bereit, eventuell alles Nähere mit Ihnen (– womöglich hier mündlich, da ich leider mit 81 Jahren nicht mehr reisen kann –) zu besprechen. ||

Meine Enkelin hofft innerhalb dieses Jahres die ganze Arbeit ausführen zu können. Die allgemein interessanten Beziehungen der Radiolarien zu weiteren Gebieten (Philosophie, Biologie, Morphologie, Entwicklungslehre, Ästhetik etc) sollen besonders berücksichtigt werden. Wilhelm Bölsche hat in seinen hübschen Aufsätzen über die „Wunderwelt der Radiolarien,“ S. 200-243, (– „Von Sonnen und Sonnenstäubchen“, Berlin, Bondi –) besonders S. 230-243 – bereits kurz angedeutet, welche hohe Bedeutung den kunstreichen „Strahlingen“ in diesen und anderen, allgemeinen interessanten Beziehungen sicherlich zukommt.

Falls Sie Neigung haben, den Verlag dieses populären Buches zu übernehmen und seine Ausführung – unter meiner Leitung und Mitarbeit – meiner Enkelin anzuvertrauen, würde ich Sie bitten, ein Exemplar für dieselbe von allen 4 Teilen der Monographied, den Atlas der ersten Monographie, 1862, womöglich kolorirt) an mich zu senden. Vom zweiten Teile (Allgemeine Naturgeschichte, Grundriß 1887) möchte ich bitten, noch ein Exemplar für die Bibliothek des Phyletischen Archivs, dem sie fehlt, beizulegen.

Hochachtungsvoll grüßend

Ihr ergebener

Ernst Haeckel.

a gestr.: und; b gestr.: illustrirt von; c gestr.: Interesse der; d eingef.: der Monographie

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
17.07.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin W.
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R2, Haeckel, Ernst, Bl. 99r-100r
ID
40649