Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Walter de Gruyter, Jena, 25. März 1914

Herrn Dr. Walter de Gruyter. Berlin.

Jena 25.3.1914.

Hochgeehrter Herr Doktor!

Für Ihren freundlichen Glückwunsch zu meinem 80. Geburtstage sage ich Ihnen den herzlichsten Dank; und ganz besonders für Ihre Bemühungen um die Herausgabe der schönen „Physiognomischen Studie“, welche mir viel Freude bereitet hat. Falls Sie von der Reklame-Anzeige derselben (– welche der „Neuen Weltanschauung, Heft 2, von Breitenbach beigelegt wurde), noch Vorrat haben, würde ich um Zusendung einer Anzahl Exemplare bitten, um sie den Dankbriefen beizulegen, die ich für einen Teil der hier angelangten Postsendungen (1600!) zu schreiben habe. Auch bitte ich um Zusendung Ihrer Rechnung, die ich in den übersandten Bücher-Paketen nicht gefunden habe.

Mit besten Grüßen

Ihr ergebenster

Ernst Haeckel. ||

Jena 25.3.1914.

Herrn

Dr. Walter de Gruyter

(Verlag Georg Reimer)

‒ Berlin ‒

Mit besonderem herzlichsten Danke für den Verlag der Physiognomischen Studie „Ernst Haeckel im Bilde“.

16. Februar 1914. ||

[Beilage]

Jena, 22. Februar 1914

Am 16. Februar d. J. beschloß ich mein 80. Lebensjahr und damit zugleich einen Zeitabschnitt von 60 Jahren produktiver Arbeit, welcher der wissenschaftlichen Erkenntnis und Lehre der Wahrheit gewidmet war. Dieser Gedenktag wurde für viele von meinen Schülern und Anhängern, für gleichstrebende Freunde der Natur und Kunst, Veranlassung, mir ihre Dankbarkeit und Anhänglichkeit kundzugeben. Viele Hunderte von Briefen und Telegrammen, von ehrenvollen Adressen und kunstreichen Geschenken, überzeugten mich, daß mein Lebenswerk in weitesten Kreisen Früchte getragen hat; die Freuden und Leiden heißer literarischer Kämpfe während eines halben Jahrhunderts sind nicht vergeblich gewesen.

Tief ergriffen von diesem Erfolge, welcher die kühnsten Hoffnungen meiner Jugend bei weitem übertroffen hat, sehe ich mich außerstande, mit wenigen Worten meinen Gefühlen des aufrichtigsten Dankes angemessenen Ausdruck zu geben. Ich kann nur versichern, daß ich in diesen herzlichen Beweisen aufrichtiger Anerkennung den schönsten Lohn für die vielen und schweren Opfer erblicke, welche ich der Erreichung meines Lebenszieles gebracht habe. ||

Von früher Jugend an war ich beseelt von Freude an den unerschöpflichen Schönheiten der Natur und an den edlen Genüssen der Kunst; ich genoß das Glück, von trefflichen, idealgesinnten Eltern und von ausgezeichneten, vielseitig anregenden Lehrern für die höchsten Ziele beglückender Lebensarbeit erzogen zu werden. Dazu gesellte sich die Gunst äußerer Verhältnisse, welche mich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die größten Fortschritte der Kultur und die tiefgreifenden Reformen der Wissenschaft selbst miterleben ließen.

Daß es mir dabei vergönnt war, an der Bereicherung unserer realen Natur-Erkenntnis und an dem idealen Aufbau der darauf gegründeten monistischen Natur-Philosophie mich selbsttätig zu beteiligen, betrachte ich als eine besondere Gunst des Geschickes. Nicht geringer aber muß ich die erhebende und beglückene Teilnahme so zahlreicher trefflicher Freunde und Gesinnungsgenossen in allen Teilen der Erde einschätzen. Ihnen allen sei mit diesen wenigen aufrichtigen Worten der Ausdruck des tiefstgefühlten Dankes dargebracht.

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.03.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin West
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R2, Haeckel, Ernst, Bl. 91r-92r
ID
40646