Friedrich Kallmorgen, offener Brief an Ernst Haeckel, Berlin, 17. Oktober 1914

Berlin W. 15, Uhlandstr. 161

den 17t Oktober 14.

Herrn Professor | Ernst Haeckel | Jena.

Hochgeehrter Herr Professor!

Heute früh veröffentlichten die Berliner Zeitungen Ihren offenen Brief an Hodler. Er wird in der deutschen Künstlerschaft brausenden Jubel auslösen.

Sie sagen in Ihrem Brief, daß Sie im Verein mit gleichgesinnten Kollegen den Vorschlag gemacht haben, Hodler’s Monumentalbild aus den Räumen || der Universität zu entfernen und öffentlich zum Verkauf auszubieten. Seien Sie überzeugt, daß Tausende mit mir auf’s lebhafteste wünschen, daß Ihr Vorschlag auch zur Ausführung kommen möge und das Bild Hodlers aus der Universität verschwindet. –

Fremdländische Künstler haben seit Jahren den deutschen Markt mit Staffeleibildern in unerhörter Weise überschwemmen dürfen. Neben einigen bedeutenden Werken sind unzählige minderwertige und wertlose Arbeiten in den Besitz deutscher Sammler und deutscher öffentlichen Sammlungen übergegangen. Die Franzosen haben || dazu gelacht. Der Einfluß einiger Händler, ihrer Berater und Helfer hat das fertig gebracht, von Berlin aus wurde ganz Deutschland durchseucht. Die Resultate haben wir schaudernd auf den Ausstellungen der letzten Jahre überall im Reiche gesehen.

Aber nicht genug damit! Der gleiche Einfluß hat es vermocht, daß Jena, in dessen Hörsälen Schiller deutsche Geschichte gelehrt hat und Hannover dem französischen Schweizer Hodler monumentale Aufgaben stellten: Die Erhebung des deutschen Volkes 1813 für die Universität, und die Einführung der Reforma-||tion für das Rathaus in Hannover. Diese deutschesten Aufgaben wurden dem französischen Schweizer zu lösen gegeben, ihm,a dessen Sprache nicht das Deutsche, sondern das Französische ist, ihm, dessen deutsche Gesinnung und deutsches Empfinden wir jetzt erfahren haben. Das brachten deutsche Männer, die an so einflußreicher Stelle stehen fertig.

Ueber die Hodlerschen Bilder nur das eine, daß sie nicht deutsch sind. Man liest zwar immer, er sei ein deutscher Künstler und Dürer, Holbein, Grünewald seien seine Ahnen. Ist denn das Gezwungene, Gewaltsame, Verrenkte deutsch? Ist die Wiederholung, || dieser Parallelismus in der Komposition deutsch? Ist die entsetzliche Farbe etwa deutsch? Ich finde von allem das Gegenteil. Das alles ist so wenig deutsch wie die Gesinnung, so wenig deutsch wie die staunenswerte, rechnerische Begabung, die imstande ist, einzelne Arbeiten, wie den Mäher, und insbesondere den Holzfäller viele dutzendmal immer wieder für den so ergiebigen deutschen Markt zu malen.

Das für ein künstlerisches Empfinden Unfaßbare, das in dieser geschäftlichen Ausschlachtung eines Erfolges liegt findet nur ein Seitenstück in der Leichtgläubigkeit der deutschen Käufer, die sich überreden ließen, diese Copieen || zu kaufen, Arbeiten, die überhaupt keine Bilder sind, sondern im besten Falle lebendige Studien.

Hochverehrter Herr Professor Haeckel, setzen Sie getrost einen viel höheren Mindestpreis an als 10000 M., unsere Soldaten und ihre Familien können einen viel größeren Nutzen aus Ihrem so guten Vorschlag ziehen. Die „Interessenten“ werden schon sorgen, daß der Marktwert Hodler’scher Arbeiten auf der Höhe erhalten wird und für 10000 M. würde das Bild ein gefundenes Fressen sein – wenn nicht unterdessen unseren deutschen Käufern die Augen aufgegangen sein sollten. –||

Hochverehrter Herr Professor, das Herz war mir schon lange voll und bei dieser von Ihnen herbeigeführten Gelegenheit lief mir der Mund über. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen damit komme, aber in Ihnen steckt ja auch ein gut Stück Maler und Sie werden mich verstehen. Ich habe veranlaßt, daß dieser Brief bis zum letzten Absatz als offener Brief an die Presse kommt.

Mit dem Ausdruck größter Verehrung

Ihr

ergebenster

Fr. Kallmorgen.

a eingef.: ihm,

Brief Metadaten

ID
40449
Gattung
Offener Brief
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
17.10.1914
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
14,3 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 40449
Zitiervorlage
Kallmorgen, Friedrich an Haeckel, Ernst; Berlin; 17.10.1914; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_40449