Ernst Haeckel an Henrietta Anne Huxley, Jena, 25. März 1914

Jena 25. März 1914.

Liebe Frau Professor Huxley!

Durch den freundlichen Glückwunsch, welchen Sie mir bei Gelegenheit meines 80.sten Geburtstages sandten, haben Sie mich sehr erfreut, und ich sage Ihnen dafür meinen herzlichsten Dank! Sie haben dadurch die schönen und interessanten Stunden wieder in lebhafte Erinnerung gerufen, welche ich im October 1866 in London in Ihrem gastfreien Hause verleben durfte. Ganz besonders gedenke ich dabei dankbarst Ihres teuren Gemahls, dessen unsterbliche Verdienste um die Wissenschaft, die Kultur und die Menschheit – speziell aber um den Darwinismus und die Anthropogenie – ich bei jeder Gelegenheit in das hellste Licht stelle! (– „Man’s Place in Nature“! 1863 –). ||

Über die freundlichen Mitteilungen betreffend Ihre Familie, habe ich mich gefreut; besonders über den Besuch, den vor einem Jahre einer Ihrer Enkel mir hier abstattete. Dass Sie trotz Ihres hohen Alters noch so rüstig sind und noch so lebendig an Allem teilnehmen, ist ein besonderes Glück. Auch ich kann jetzt mit 80 Jahren im Ganzen noch zufrieden sein. Nur habe ich leider vor drei Jahren (durch einen unglücklichen Sturz in meiner Bibliothek) eine Fractur des „Hipbone“ erlitten und kann nicht mehr frei gehen, auch nicht mehr reisen. Seit 5 Jahren bin ich Emeritus und lebe sehr still in Jena („Villa Medusa“) – mit meiner guten Frau die auch schon 71 Jahre alt ist. Unser einziger Sohn (45 Jahre) lebt als Maler in München und hat 1 Sohn und 2 Töchter. Unsere Tochter Lisbeth (43 Jahre) ist in Leipzig mit Prof. Dr. Hans Meyer (Africa-Forscher) glücklich verheiratet; sie hat 3 Töchter. – Mit herzlichsten Grüssen an Sie und Ihre Familie Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel. ||

[Beilage: Photographie und gedrucktes Dankschreiben:]

Jena, 22. Februar 1914.

Am 16. Februar d. J. beschloß ich mein 80. Lebensjahr und damit zugleich einen Zeitabschnitt von 60 Jahren produktiver Arbeit, welcher der wissenschaftlichen Erkenntnis und Lehre der Wahrheit gewidmet war. Dieser Gedenktag wurde für viele von meinen Schülern und Anhängern, für gleichstrebende Freunde der Natur und Kunst, Veranlassung, mir ihre Dankbarkeit und Anhäng lichkeit kundzugeben. Viele Hunderte von Briefen und Telegrammen, von ehrenvollen Adressen und kunstreichen Geschenken, überzeugten mich, daß mein Lebenswerk in weitesten Kreisen Früchte getragen hat; die Freuden und Leiden heißer literarischer Kämpfe während eines halben Jahrhunderts sind nicht vergeblich gewesen.

Tief ergriffen von diesem Erfolge, welcher die kühnsten Hoffnungen meiner Jugend bei weitem übertroffen hat, sehe ich mich außerstande, mit wenigen Worten meinen Gefühlen des aufrichtigsten Dankes angemessenen Ausdruck zu geben. Ich kann nur versichern, daß ich in diesen herzlichen Beweisen aufrichtiger Anerkennung den schönsten Lohn für die vielen und schweren Opfer erblicke, welche ich der Erreichung meines Lebenszieles gebracht habe. ||

Von früher Jugend an war ich beseelt von Freude an den unerschöpflichen Schönheiten der Natur und an den edlen Genüssen der Kunst; ich genoß das Glück, von trefflichen, idealgesinnten Eltern und von ausgezeichneten, vielseitig anregenden Lehrern für die höchsten Ziele beglückender Lebensarbeit erzogen zu werden. Dazu gesellte sich die Gunst äußerer Verhältnisse, welche mich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die größten Fortschritte der Kultur und die tiefstgreifenden Reformen der Wissenschaft selbst miterleben ließen.

Daß es mir dabei vergönnt war, an der Bereicherung unserer realen Natur-Erkenntnis und an dem idealen Aufbau der darauf gegründeten monistischen Natur-Philosophie mich selbsttätig zu beteiligen, betrachte ich als eine besondere Gunst des Geschickes. Nicht geringer aber muß ich die erhebende und beglückende Teilnahme so zahlreicher trefflicher Freunde und Gesinnungsgenossen in allen Teilen der Erde einschätzen. Ihnen allen sei mit diesen wenigen aufrichtigen Worten der Ausdruck des tiefstgefühlten Dankes dargebracht.

ERNST HAECKEL

Brief Metadaten

ID
40352
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
25.03.1914
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Besitzende Institution
Imperial College London
Signatur
Huxley papers, General correspondence, Inv.Id. 17.225. Box No. 17 Series 1h
Beilagen
Gedrucktes Dankschreiben Jena, 22.2.1914, Photographie
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Huxley, Henrietta Anne; Jena; 25.03.1914; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_40352