Jena 3 November 83
Lieber hochverehrter Freund!
Ihr Verzicht auf das reizende Schloß Wildhaus mit seiner grünen, weltabgeschlossenen Waldeinsamkeit geht mir so nahe, wie gewiß Wenigen Ihrer Freunde! War ich doch so glücklich, es noch selbst mit Ihnen genießen zu können, und werde ich die reizenden Erinnerungen an diese idyllische Woche nie vergessen! Und wie leid thut mir Ihre liebe treffliche Tochter! ||
Es kommt mir geradezu (bei unserer psychologischen Ähnlichkeit) wie eine Ironie des Schicksals vor, daß ich gerade in den Tagen, wo Sie Ihren Grundbesitz verlieren, selbst Grundbesitzer werde, was ich früher nie für möglich gehalten!
Für Sie tröstet mich vor Allen der Gedanke, daß Sie und Fritzi beide echte Philosophen sind und mit Seelenruhe das Zweckmäßigste (auch ohne Teleologie) tragen werden. ||
Wenn man im Leben so schwere Verluste gehabt hat, wie wir Beide – (denn auch ich werde das frühe Hinscheiden meiner unvergleichlichen ersten Frau nach nur 5/4 Jahren glückseliger Ehe, nie verschmerzen!) – dann erscheinen alle folgenden Wandelungen und Wanderungen nur als rasch vorübergehende Beleuchtungs-Effecte in dem wechselnden Schattenspiel des Lebens! Wie reich sind wir doch trotz aller Armuth! ||
Uns geht es im neuen Häuschen recht gut, wenn auch noch Manches fehlt. Wenn Sie es mit Ihrem lieben Besuche erfreuen, ist es hoffentlich Alles besser! Ich stecke ganz in trockenen Beschreibungen einiger 1000 Radiolarien-Species, auch ein Opfer! Leider komme ich wohl erst nach Jahren wieder zum Malen!
Mit herzlichsten Grüßen an Sie und Ihr liebes Kind sowie an Königsbrunn und die andern Gratzer Freunde
Ihr treuer
Ernst Haeckel