Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 12. November 1889

Jena, 12. November 1889.

Hochverehrte gnädige Frau!

Ihr werthvolles und prächtiges Geschenk, „The Works, Letters and Life of Francis Bacon, by James Spedding“, in 14 stattlichen Bänden, ist gestern wohlbehalten hier eingetroffen, und ich beeile mich, Ihnen dafür meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank zu sagen. Auch kann ich in der That hoffen, jetzt, nach Vollendung der zwölfjährigen „Challenger“-Arbeiten, mehr Muße zu allgemeineren Studien zu finden, und dann soll unter den vielen philosophischen Schriften, die meiner Lectüre seit Jahren harren, Bacon einer der Ersten sein. Ich habe viel Neigung zu philosophischen Studien (– mehr als eigentlich einem sogenannten „exakten“ Naturforscher erlaubt ist! –); aber zu meinem großen Bedauern habe ich nur selten Zeit dazu gefunden, weil immer dringlichere Aufgaben näher liegen. ||

Übrigens wird Ihr schönes Geschenk auf alle Fälle großen Nutzen stiften und vielfach von der studirenden Jugend gelesen werden. Bei Gelegenheit der Einweihungs-Feier des neuen Zoologischen Instituts (– wozu Ihnen beifolgende Einladung leider sehr „post festum“ zugeht! –), am 3. Mai 1884, habe ich meine naturwissenschaftliche und philosophische Privat-Bibliothek dem Institute zum Geschenk gemacht. Auch die prächtige Bacon-Ausgabe wird somit später, gleich allen andern mir zugehenden wissenschaftlichen Werken, in den Besitz der Universität Jena übergehen, und somit die beste Verwerthung finden. Vorher aber hoffe ich selbst daraus noch gründlich zu lernen, und die mangelhaften Vorstellungen, welche ich bisher aus der Geschichte der Philosophie, und aus dem wunderlichen „Bacon-Shakespeare-Streit“ über Bacon gewonnen habe, wesentlich zu berichtigen. ||

Um wenigstens dem guten Willen einer kleinen Gegengabe gegen Ihr prächtiges Geschenk Ausdruck zu geben, erlaube ich mir Ihnen beifolgend meinen soeben erschienenen vierten (und letzten) Challenger-Report zu überreichen, die „Deep-Sea-Keratosa“. Sie bilden zugleich den 82sten und letzten Theil des großen Challenger-Werkes, dessen 40 Bände für alle Zeiten eine glänzende und epochemachende Stelle einnehmen werden. Obgleich die Tiefsee-Hornschwämme an sich sehr unansehnlich erscheinen, sind sie doch in mehrfacher Beziehung sehr merkwürdig und werden wohl noch viel Staub aufwirbeln. Kein anderer Zoologe hatte Lust, ihre Bearbeitung zu übernehmen, weil ihre Natur höchst problematisch erschien. Der größte Theil ihres Körpers besteht aus fremden Bestandtheilen (Xenophyen), hauptsächlich den zierlichen Kieselschalen von Radiolarien. ||

Von der wunderbaren Schönheit und architektonischen Mannichfaltigkeit der Radiolarien-Schalen, von denen ich einige Ihnen bei Ihrem hiesigen Besuche die Ehre hatte unter dem Mikroskop zu zeigen, mag der beifolgende vierte Theil meiner Radiolarien-Monographie Ihnen eine Vorstellung geben. Ich habe denselben dem Andenken meiner verstorbenen ersten Frau gewidmet, weil diese mir Muth und Ausdauer zur Vollendung jener ersten Monographie einflößte, mit deren Hilfe ich vor 28 Jahren meine Stellung hier in Jena begründete. Die Radiolarien sind einzellige Thiere, und dennoch producirt hier die einzelne Zelle für sich allein die wunderbarsten Panzer.

Mit wiederholtem freundlichen Danke und mit der Bitte, seiner Hoheit dem Herrn Herzog mich zu empfehlen, Ihr

hochachtungsvoll ergebener

Ernst Haeckel.

 

Briefdaten

Verfasser
Datierung
12.11.1889
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Thür. Staatsarchiv Meiningen
Signatur
Hausarchiv, NL Helene von Heldburg, Nr. 87
ID
39996