Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 6. August 1915
Jena 6. August 1915.
Hochverehrte Gnädige Frau!
Durch die freundliche Sendung des herrlichen Rhododendron-Straußes vom Königsee haben Sie mich hocherfreut; herzlichsten Dank für Ihr gütiges Gedenken! Hoffentlich bekommt Ihnen die Sommerfrische auf Ihrer schönen Salet-Alp recht gut und stärkt Ihre Gesundheit in erwünschter Weise!
Bei uns in Thüringen ist der Frühling und Sommer dies Jahr ganz herrlich, die Gärten und Wiesen von seltener Frische und Blütenfülle, das Wachstum der Bäume außerordentlich. Ich habe die landschaftlichen Reize unseres schönen Saaltals und seiner mannigfaltigen Seitentäler ganz besonders genossen, auch viel gemalt, trotzdem meine alten lahmen Gehwerkzeuge keine Spaziergänge mehr gestatten. ||
Bei den schmerzlichen Verlusten, die auch die Familie des Herzogs von Meiningen betroffen haben, wie bei der beklagenswerten Feindschaft, welche die Deutschen und Englischen Kultur-Kreise noch auf lange Zeit hinaus scheiden wird, habe ich oft Ihres unvergeßlichen Gemahls gedacht, dessen Deutsche Gesinnung und warme Vaterlandsliebe vielfach in Konflikt mit seinen weitschauenden allgemein menschlichen Interessen gewesen sein würde.
Auch meine liebe verstorbene Frau hat diesen Gegensatz sehr schmerzlich empfunden. Andererseits ist freilich zu hoffen, daß die völlige Neugestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse, welche notwendig nach glücklichem Friedensschlusse erfolgen muß, nicht nur unser teures Deutsches Vaterland mächtiger und freier machen, sondern auch die internationalen und allgemeinen Kultur-Beziehungen auf eine höhere Stufe heben wird. ||
Der unversiegliche Quell des Friedens, welchen uns der Genuß und das Verständnis der Natur gewährt, bewährt seine Kraft in der Gegenwart um so wohltuender, je mehr die entsetzlichen Gräuel des Weltkrieges die Kulturmenschheit in die Barbarei des Mittelalters zurückstoßen. Die unersetzlichen Verluste an kostbaren jungen und hoffnungsvollen Menschenleben häufen sich nun schon seit einem Jahre, und noch kann kein Mensch ahnen, Wann, Wie und Wo endlich der ersehnte Völker-Friede zu Stande kommen soll. Gestern haben ja die Siegesbotschaften aus dem Osten, die Eroberung von Warschau und Iwangorod, unseren Mut wieder gehoben; aber der schwere Stellungskrieg im Westen bleibt immer noch drohend und die falsche Neutralität von Nord-Amerika schadet uns sehr. ||
In dankbarer Erinnerung an die vielen schönen Tage, die ich in glücklicheren Zeiten mit Ihnen und Ihrem teuren Gemahl in Heldburg und Meiningen, Liebenstein und Altenstein verleben durfte, bleibe ich mit besten Wünschen für Ihr wohl
Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel.