Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Arnold Dodel-Port, Bordighera, 7. März 1904

Bordighera (Riviera ponente)

Park-Hôtel. 7.3.1904.

Hochgeehrter Freund und College!

Die letzten Wochen waren gänzlich durch die Folgen meiner 70. Geburtstags Feier (1100 Gratulationen!) absorbirt. Dann kam die Abreise von Rapallo, so daß ich erst heute Zeit finde, Ihren lieben Brief zu beantworten und den Brief meines treuen Schülers Julius Römer zurückzusenden. Letzterem bitte ich zu antworten:

– a. Die Sache mit den 3 Clichés (eine Mücke, aus der His einen Elephanten gemacht hat, Schul-Krakehl!) ist im Apologetischen Schlußwort zur vierten Aufl. der „Anthropogenie“ (1891) abgetan.

– b. Der Casus Hamann (= Judas!) ist durch die Acten des Processes (1893) erledigt; dieser Ehrenmann hat als Lohn für seine „Bekehrung“ eine gute Stelle als Königlicher Bibliothekar in Berlin erhalten. ||

– c. Die Beschwerden von Hensen u. A. über „ungenaue Zeichnungen“ beziehen sich auf halbschematische Figuren, die ich mangels completer Abbildungen nach bestem Können completirt hatte (– statt mangelhafter Praeparate exact, d. h. falsch! wieder abzuzeichnen.) Auch diese Angriffe bedürfen keiner Widerlegung!

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Sehr charakteristisch ist, daß auf solche Anschuldigungen hin ein liberaler und philosophirender Theologe die ihm empfohlene Anthropogenie nicht lesen wollte, weil schon das Titelbild (Keimesgeschichte des Antlitzes – absolut naturgetreu!) „miserable Karrikaturen des Menschen“ (= Gottes Ebenbild!) bringe. || „Gegen die Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“! Leider nur zu wahr! – Übrigens hat mich die kolossale (– alle Erwartung übertreffende! –) Teilnahme der gebildeten freisinnigen Welt doch sehr erfreut (besonders die Feiern in Zürich und Berlin!) – nicht wegen meiner Person und ihrer Ehrung, sondern weil sie zeigt, wie unsere gute Sache triumphirend fortschreitet. Jetzt bleibe ich 4 Wochen hier, um mich von der Arbeit der letzten 4 Monate zu erholen; ich habe meine letzte biologische Arbeit glücklich beendigt. Anfang April denke ich die Heimreise anzutreten. Sollte ich über Lugano kommen, werde ich nicht verfehlen, Sie und Ihre liebe Frau zu besuchen. Inzwischen sende ich Ihnen Beiden herzlichste Grüße!

Stets Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.03.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Lugano
Besitzende Institution
Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung
Signatur
Ms. Z VIII 417.4
ID
39955