Daelen, Eduard

Eduard Daelen an Ernst Haeckel, Düsseldorf, [1916]

Düsseldorf

Hochverehrter Meister!

Seitdem ich von meiner Reise im April zurückgekehrt bin, gehe ich fortwährend mit dem Vorsatz um, Ihnen zu schreiben, vor allem um Ihnen nochmals meinen innigsten Dank für Ihr ungemein liebenswürdiges Entgegenkommen bei meinem Studium zum Ausdruck zu bringen; aber immer noch nicht habe ich im Banne drängender Arbeit zur Ausführung kommen können. Um so häufiger gedenke ich der wundervollen Jenaer Frühlingstage, deren Stunden, die ich in Ihrer Nähe verbringen durfte, ich zu den glücklichsten meines Lebens rechne.

Das Bild, zu dem ich die dort angefertigte Studie benutzte, ist nun ungefähr fer-||tig gestellt und werde ich mir erlauben, die letztere, nachdem sie hier ausgestellt war, Ihnen versprochener maßen zuzusenden. Es würde mir eine große Freude und eine hohe Ehre sein, wenn sie würdig befunden würde, einen Platz in den schönen lichtvollen Räumen Ihres Museums zu finden.

Auf der Heimfahrt am Ostersamstag habe ich in mein Tagebuch geschrieben:

„Von jeher als Krone der Schöpfung galt

Des menschlichen Antlitzes Edelgestalt

Und somit schätzt man aufs Höchste ein

Den Vorzug ein Bildnißmaler zu sein.

Als so innig der herrlichste Frühlingstag strahlte

Und ich den Feuerkopf Haeckel malte,

Da hab ich von Jenas Himmel umblaut

In Gottes leuchtendes Auge geschaut.“

Nun werde ich von dem kühnen Wunsche beseelt, den Besuch Jenas zu wiederholen und die Beschäftigung, die mir eine so genußreiche war, noch einmal fortsetzen zu können. Sie sollen dabei durchaus nicht belästigt werden und ich hoffe nur, Sie hin und wieder, wenn es Ihre Zeit erlaubt, sehen zu dürfen. ||

Es wird Sie vielleicht die Behauptung interessiren, die ich vor Kurzem aufstellen hörte, daß Sie mehr Maler als Philosoph wären. Darüber habe ich neulich gelegentlich eines Vortrages, betitelt „Ein neues Sehen“, im Monistenbund folgendes gesagt:

„Würde nun die Frage aufgeworfen, welche Name, dem eines Rembrandt ebenbürtig, zu wählen sei, um ihn der heutigen Kunstbewegen an die Spitze zu stellen, so würde eine befriedigende Antwort keine leichte Aufgabe sein. Manch ein großer Name, der durch die Weltweiten klingt, wäre zu nennen und doch würde ein Schwanken sein, wem die Palme zuerkannt werden sollte. Aber darüber kann kein Zweifel walten, deutsche Kunst würde bei solcher Wahl zu Ehren gebracht werden, die ihr heute noch mit Unrecht so heftig bestritten werden. Erst wenn größere Klarheit und gesunderes Kunstverständniß sich verbreitet hat, werden spätere Generationen die Lösung der obigen Frage erbringen und dann vermutlich unserer Zeitperiode die || a Bezeichnung einer Vorfrühlingszeit beilegen, die in den stürmischen Geburtswehen einer ringenden Neuschöpfung den kommenden Messias des siegenden Frühlings noch zu erhoffen hatte.

Schon eher wie in der Kunst würde vielleicht diese Frage in der Wissenschaft zu beantworten sein. Ist doch auch sie nicht minder bei der Entdeckung eines neuen Sehens, was die geistige Arbeit betrifft, beteiligt gewesen. Man braucht sich nur eines Mannes wie Darwin zub erinnern, um sich gestehen zu müssen, daß mit seiner Lebensarbeit einer der dauerhaftesten Bauten der alten Welt zum Versinken gebracht wurde, um einer neuen Anschauung Platz zu machen. Er sah klaren Auges das neue Licht aufgehen und verkündete in ehrlicher Unverdrossenheit seine Entdeckung, die in den Kreisen der Rückständigen natürlich ein ungeheures und widerspruchsvolles Aufsehen erregte. Aber Darwin, dem echten Sohne des c hochmütigen Alt-Englands, fehlte doch der rechte Entdeckerd- und Bekennermut, um ause seiner Entdeckung vor aller Welt die weiteren Konsequenzen zu ziehen und als ein zweiter größerer Kolumbus das Aufsteigen einer neuen Zeit mit || unwiderlegbaren Dokumenten zu bekunden. Auch hier zeigte es sich, daß, dem sinkenden England gegenüber, Deutschland berufen war für eine so hohe Aufgabe den geeigneten, todesmutig unerschrockenen Forscher und Kämpfer ins Feld zu stellen.

Ernst Haeckel war es, der als ein echter Deutscher, als ein ganzer Mann mit unvergleichlicher Kühnheit und Tapferkeit diese Aufgabe übernahm und ihre Lösung zu vollendetster Ausführung brachte. Er hatte ursprünglich Maler werden wollen und seltsamer Weise wird heute noch von manchen seiner Verehrer behauptet, daß der Maler in ihm seine hervorragendste Begabung ausmache. Eine gewisse Berechtigung ist dem nicht abzusprechen. Ein künstlerisches Sehen ist in allen seinen Auffassungen unverkennbar. Das verleiht ihnen [!] eben den begeisterten Schwung feuriger Überzeugung und Wahrhaftigkeit. Wenn man die Summe seiner Arbeiten zieht, so muß man zu dem Schluß kommen: ein freies, ein neues Sehen hat er der Welt zu ihrem Heile geschenkt.

Haeckel, der bereits ein hohes Alter erreicht hat, ist trotzdem in seiner sprudelnden Geistesfrische der fortschrittlichste, der jugendlichste || Zukunftsmensch. Sein Name ist mit dem von Jena auf das innigste verknüpft. In treuester Anhänglichkeit hat er hier den wirkungsvollsten Teil seines Lebens verbracht, durch ihn hat das unscheinbare Landstädtchen an der Saale die Bedeutung der berühmtesten Weltstadt erhalten, die zwar schon lange in der Weltgeschichte einen eigenen Klang hatte. „Von Jena bis Leipzig“ lautete der Titel eines ihrer gehaltreichsten und wichtigsten Kapitel. Dem armen Jena wurde 1806 eine Schmach aufgebürdet, die erst 1813 von ihm genommen wurde. Aus Leipzigs Ebene sieht man heute stolz das riesigste Denkmal ragen, das Denkmal einer Völkerschlacht, welche die Befreiung Deutschlands von der schmachvollsten Tyrannenherrschaft besiegelte.

Jenas Berge krönt kein Schlachtendenkmal, aber ein weit größeres und gewaltigeres Denkmal erstand in seinen Mauern selbst: die befreiende Lebensarbeit Haeckels, die der schwer geprüften Stadt die schönste Genugtuung, die feierlichste Sühne, die sich denken läßt, verliehen hat. Nach der Schlacht || von Leipzig setzte die jammervollste Reaktion ein, welche die Revolution von 48 zur Folge hatte. Auf der Barrikade floß das beste Bürgerblut und die feurigsten Patrioten wurden des Landes verwiesen. Nicht lange danach zog Haeckel nach Jena; in der Stille der Studirstube der größte Weltbefreier. Leipzig hat ein grandioses Völkerschaltdenkmal aus Erz und Stein; aber Jena hat einen größeren Sieg zu feiern. Hier ist der Grundstein zu einer neuen Weltreligion gelegt worden, die bestimmt ist, die verschiedensten Elemente der menschlichen Gesellschaft zu einer harmonischen Einigung, zu einer friedlichen Gemeinschaft brüderlich zu verbinden.

Es gibt kein wahreres Wort als der Ausspruch unseres Altmeisters Goethe:

Wer Kunst und Wissenschaft besitzt, der hat auch Religion.

Eine Religion, die als harmonische Blüte aus der Kunst und Wissenschaft hervor gegangen ist, kann nur eine Religion der Liebe und Eintracht sein, die in friedlicher Arbeit das Zusammenwirken aller Kräfte der Menschheit in jeder Weise zu fördern || bestrebt ist. Ein Völkerfrieden, bei dem auf diesem Boden die kulturellen Aufgaben ungehindert zu einer glücklichen Höherentwicklung geführt werden können, das ist das verheißungsvollste Licht, das dem Sehen der Zukunft in entzückender Klarheit entgegenstrahlt und dadurch den Blick des Auges zu immer höheren, freieren Aussichten der fortschreitenden Kultur emporführt.“

Ein hiesiger Maler, mein Freund Ernst te Peerdt hat in 5 Bleistiftzeichnungen ein Darwin-Denkmal entworfen, bei dem er auch Ihnen eine hervorragende Stelle anweist. Ich möchte mir erlauben, Ihnen dieses Blatt gelegentlich mal vorzulegen in der Annahme, daß es für Sie von Interesse ist. Mir liegt besonders die Aufgabe am Herzen Sie mal als Maler zu malen. Ich hatte bei meiner ersten Anwesenheit in Jena nicht die rechte Ruhe zu längerem Aufenthalt. So drängt es mich, die Sommerzeit, Ihrem freundlichen Vorschlag folgend, zu einem erneuten Ausflug nach Jena wahrzunehmen und mir somit die Anfrage zu erlauben, ob ich Sie etwa gegen Ende August oder Anfang || September dort antreffen würde und Ihnen mein Besuch angenehm wäre.

Mit meinen Kriegspostkarten, von denen ich Ihnen damals erzählte und die inzwischen erschienen sind, habe ich allerhand Erfahrungen machen müssen, zum größeren Teil unangenehme, da das Ministerium in Sachsen als Zensurstelle ihren Vertrieb untersagt hat. Aus zarter Rücksichtnahme für den edlen Mr. Wilton. Das war ein Schlag ins Kontor, nach all der Arbeit für den hiesigen Bezirk sind sie vom Generalkommando in Münster freigegeben worden; aber das ist schließlich ein zu geringer Umfang für einen Erfolg. So wird man von Pech verfolgt, auf Schritt und Tritt. Drum heißt es, den Mißerfolg auf andere Weise wett zu machen und daran solls nicht fehlen. Ein Exemplar der Postkartenserie erlaube ich mir Ihnen beiliegend zu besiegen [!].

Mit vorzüglicher Hochachtung begrüßt Sie

Ihr ergebener

Eduard Daelen.

a irrtüml. Dopplung: und; b eingef.: zu; c gestr.: H; d korr. aus: Entdeckermut; e eingef.: aus

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3993
ID
3993