Heidelberg 22.8.1900.
Lieber Freund!
Als ich gestern Nachmittag, gleich nach meiner Ankunft, Gegenbaur besuchte, um ihm meinen Glückwunsch zum 74. GeburtsTage zu überbringen, war seine erste Mittheilung Dein lieber Brief, und die Nachricht, daß Du Dich definitiv entschlossen hast, hier sein Nachfolger zu werden.
Indem ich Dir dazu meine herzlichen Glückwünsche sende, – für Dich, Deine Familie, die Universität Heidelberg – kann ich Dir gleichzeitig nicht verhehlen, wie schmerzlich Dein Verlust für uns in Jena ist, für die Universität, die medicinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft – und speciell für mich. ||
Heute sitze ich hier allein im Hôtel (Darmstädter Hof), um einen Haufen unerledigter Correspondenz zu beantworten, die ich von Jena mitgebracht habe.
Verzeihe daher die Kürze dieser Zeilen. Wie sehr wir in Jena – im Haus, auf Forst u. Schweizerhöhe – Dich u. Deine liebe Frau entbehren werden, brauche ich Dir nicht zu sagen.
– An mir verliert Ihr übrigens Wenig! Falls ich von meiner Java-Reise zurückkehre ( – was sehr zweifelhaft ist! – ) werde ich mich – von Beginn meines 81sten Semesters in Jena an) total encystieren!
Mit herzlichsten Grüßen an Dich u. Deine Familie
Dein alter Ernst Haeckel ||
Die Frage Deines Nachfolgers ist für uns höchst wichtig; ich habe sie gestern mit Gegenbaur eingehend besprochen. Ich theile ganz die Ansichten darüber, die Dein Brief ausführt u. die Du mit Gegenbaur ausgetauscht hast. Von den drei möglichen genannten Candidaten (Maurer, Ruge, Rabl) kann nach Lage der Dinge nur Maurer gewünscht werden; ich habe in diesem Sinne heute an Eggeling und Vollert (als dessen Stellvertreter) geschrieben.
Ebenso werde ich auch noch an W. Müller (der mit beiden Töchtern seit 3 Tagen in den Dolomiten ist) schreiben. ||
P.S. Morgen fahre ich nach Paris. Am 3. September treffen mich Briefe in Genua, wo ich mich am 4. nach Singapore einschiffe, unter der Adresse: Pr. E. H., Passagier der „Oldenburg“. Leupold Fratelli, Piazza S. Siro 10, Genova.