Richard Semon an Ernst Haeckel, Prinz-Ludwigshöhe, 10. Dezember 1901

An Haeckel Prinz Ludwigs Höhe, 10/XII 1901

Sehr geehrter Herr Professor.

Mit grossem Bedauern habe ich aus Ihrem Brief an Prof. Fürbringer vom 30/XI 1901, den dieser mir auf Ihre Anweisung hin mitgeteilt hat, a die financiellen Schwierigkeiten ersehen, in denen sich die Medicinisch Naturwissenschaftliche Gesellschaft momentan befindet, ferner dass die Zoologischen Forschungs Reisen eine Hauptschuld an demselben tragen, und dass man mir einen Teil der Schuld aufbürdet und erwartet ich solle zur Deckung der Schuld 3000 M. oder mehr aus meinen Mitteln hergeben.

Ich glaube diese Ansicht, zu der die Majorität und, wie Sie schreiben auch Herr Fischer gelangt ist, beruht auf einer zwiefachen Verkennung der Tatsachen. ||

1) Die Gesellschaft hat mein Werk subventionirt, wofür ich ihr aufrichtig dankbar bin. Sie hat aber aus dieser Subvention (Kauf von 25 Exemplaren des Werkes) mittelst des Tauschverkehrs so reiche Vorteile wenn auch nicht für sich selbst so doch für die Universitätsbibliothek und damit die ganze Universität gezogen, dass ich ihre materielle (nicht ideelle) Leistung dadurch für compensirt ansehen muss. Erwachsen ihr nun jetzt daraus einige Schwierigkeiten, so kann es angesichts des für die Universitätsbibliothek geleisteten, was sich ja auch zahlenmässig nachweisen liesse, (eine solche Berechnung wäre nützlich!) schwerlich unmöglich, die Regierung zum Einspringen zu veranlassen. Die moralische Verpflichtung liegt in diesem Falle augenscheinlich auf der Seite der Regierung, für die mit Hilfe der reichen ihr zu solchen Zwecken zur Verfügung stehenden Fonds 3000 M. nichts Grosses sein kann, nicht auf der meinigen.

2) Die materielle Unterstützung wissenschaftlicher Bestrebungen nach Art eines Rockefeller, Carnegie oder Paul v. Ritter, bei denenb Aufwand und Mittel in einem richtigen Verhältniss stehen, ist etwas herrliches. Leider gehöre ich weder zu den Dollar- noch Thaler- noch Markmillionären, sondern lebe als Privatgelehrter ohne jedes Nebeneinkommen mit meiner Frauc von den kaum 4000 M. betragenden Zinsen unseres gemeinschaftlichend kleinen Kapitals. Unsere Verhältnisse sind derartig bescheidene, dass ich e zu ihrer Verbesserung in letzter Zeit Schritte zur Erlangung einer akademischen Stellung in Amerika getan habe. Ich bin || allerdings einer der Erben des f verstorbeneng Charles Semon, || Maire von Bradford, der vor 25 Jahren sein 1½ Millionen Mark betragendes Vermögen seinen Neffen und Nichten vermacht hat. Da er aber deren 13 hatte, kommt auf den Einzelnen nur 120,000 M., und zwar die ganze Summe erst dann, wenn alle Legate ausgezahlt und die Kapitalien aller Renten, die er ausgesetzt, frei sein werden. Bisher habe ich aus dieser Erbschaft erst etwas mehr als die Hälfte erhalten und einen grossen Teil davon für meine australische Reise ausgegeben. Andere Erbschaften habe ich nicht gemacht, und staune einfach über die besonders in Jena umlaufenden Gerüchte, deren Nichtigkeit h sich jedem aufdrängen muss, der i das winzige Häuschen, in dem wirj lebenk und unserel bescheidene Lebensführung kennt.

Ich m bitte Sie auf Grund der eben gegebenen Daten derartigen Gerüchten, wenn sie Ihnen zu Ihren Ohren kommen, zu widersprechen und daran geknüpfte Combinationen abzuweisen. Dass die financiellen Schwierigkeiten der Medicinisch Naturwissenschaftlichen Gesellschaft sich auch ohne dass ich unser kleines Kapital weiter angreife, werden ordnen lassen, davon bin ich angesichts der der Universitätsbibliothek zu Gute kommenden Leistungen fest überzeugt.

Nur soviel für heute. Über Fortführung resp. Abschluss des Reisewerks habe ich heute an Fürbringer geschrieben. Da in seinen Händen augenblicklich die Leitung der Redaction liegt, möchte ich ihm die Initiative zur Erledigung auch dieser Frage überlassen. Für Ihre opfervollen Bemühungen in Angelegenheiten der Zoologischen Forschungs Reisen aufrichtigst und herzlichst dankend

Ihr stets dankbar ergebener

Richard Semon.

a gestr.: ersehen; b gestr.: ist etwas herrliches wenn; eingef.: bei denen; c eingef.: mit meiner Frau; d gestr.: eines; eingef.: gemeinschaftlichen; e gestr.: zur Erlan; f gestr.: vor 25 Jahren als Maire von Bradford verstobenen Charles Semon wohlhabenden; g eingef.: verstorbenen; h gestr.: jedem; i gestr.: mein; j gestr.: ich; eingef.: wir; k korr. aus: lebe; l gestr.: meine; eingef.: unsere; m gestr.: hoffe;

Brief Metadaten

ID
39667
Gattung
Briefentwurf
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
10.12.1901
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
UB Heidelberg, Abt. Handschriften und Alte Drucke
Signatur
Heid.Hs. 3473, 266
Zitiervorlage
Semon, Richard Wolfgang an Haeckel, Ernst; Prinz-Ludwigshöhe (München-Solln); 10.12.1901; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39667