VILLA HAECKEL. JENA, DEN 30 Juni 86
Hochverehrter Freund und College!
Schon längst war es meine Pflicht und meine Absicht, Ihnen für die große Freude, a welche Sie mir durch die freundliche Zusendung Ihrer vortrefflichen Erinnerungen an unseren unvergeßlichen Moritz Seebeck bereitet haben, meinen herzlichsten Dank auszusprechen. ||
Ich war aber in den beiden letzten Monaten durch die erfreuliche „Ritter-Stiftung“, von welcher Sie durch Gegenbaur gehört haben werden, und durch die massenhafte, damit verbundene Correspondenz, dergestalt in Anspruch genommen, daß alle andere Arbeit darüber stockte.
– Ich hatte Ihre Biographie von Seebeck schon in der „Allgemeinen Zeitung“ mit großem Interesse gelesen, und freue mich nun um so mehr, sie aus Ihrer eigenen Hand, durch werthvolle Goethe-Reminiscenzen vermehrt, zur bleibenden lieben Erinnerung empfangen zu haben. ||
Leider ist in unserem academischen Collegium das dankbare Gedächtniß für Seebeck’s außerordentliche Verdienste um Jena schon recht geschwunden. Nicht ohne Indignation, und nicht ohne entsprechende derbe Erwiderung, mußte ich im letzten Winter ( – gelegentlich einer Debatte über Ihre Biographie –) mit anhören, daß ein älterer College fragte, „was denn eigentlich Seebeck für Jena gethan habe“? Der jüngeren Generation, die ohnehin mit ganz anderen Anschauungen von Pietät aufwächst, und sich immer mehr americanisirt, läßt man eine solche Impertinenz schon eher hingehen! Aber die Alten! ||
Zu Ihrem Heidelberger-Universitäts-Jubilaeum werde ich wahrscheinlich, einer freundlichen Einladung Gegenbaur’s folgend, erscheinen. Ich freue mich schon jetzt auf den Genuß Ihrer Festrede! Als officieller Deputirter von Jena kommt ( – wie gewöhnlich – ) der zeitige Prorector, Franken.
In der Hoffnung, Sie dann im besten Wohlsein anzutreffen und ( – mindestens einige Minuten!) begrüßen zu können, mit wiederholtem freundlichen Danke
Ihr alter Ernst Haeckel
P.S. Ihrer Frau Gemahlin bitte ich mich bestens zu empfehlen.
a gestr.: zu danken,