Jena 22. Juni 84.
Lieber Freund und College,
Ihr Wunsch, für den Nekrolog unseres verstorbenen theuren Freundes Seebeck thatsächliches, und womöglich autobiographisches Material aus seinem Nachlasse zu erhalten, hat sich leider nicht erfüllen lassen. Die beiden anwesenden Söhne haben gleich nach der Beerdigung die hinterlassenen Papiere danach durchgesehen, aber leider ohne Erfolg. ||
Allerdings hatte Seebeck die Absicht gehabt, und auch in den letzten Jahren mehrfach einen Ansatz dazu gemacht, die wichtigsten Ereignisse seines reichen, in vieler Beziehung so interessanten Lebens niederzuschreiben; aber er ist nie weit damit gekommen, und die vorhandenen Fragmente scheinen nach den Andeutungen der Angehörigen nicht benutzbar zu sein. Er beschäftigte sich in den letzten Jahren fast nur || damit, die Lieblings-Schriften wieder zu lesen, an denen er sich früher erbaut hatte; und es wird Sie freuen zu hören, daß Ihre Geschichte der Philosophie ( – speciell Kant und Schelling – ) darunter in engster Linie stand. – Am Grabe hielt Lipsius eine recht gute Rede, die die Vielseitigkeit seiner Bildung und Thätigkeit, sowie das Ideale und Selbstlose seines edlen Charakters treffenda zeichnete. ||
Die Wittwe und die Söhne sind gern bereit, Ihnen für den Nekrolog alle gewünschten Daten zu liefern. Vielleicht wäre es das Beste, wenn Sie mit dem ältesten Sohne (dem Oberst in Darmstadt) persönlich Rücksprache nähmen. Der kurze Nachruf in der Weimarer Zeitung (vom 10 Juni) enthält nur sehr dürftige Notizen, da ausführliche vor 2 Jahren (bei Gelegenheit der silbernen Hochzeit) gegeben waren.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr freundschaftlich ergebener
Ernst Haeckel
a korr. aus: zutreffend