Konrad Deubler an Ernst Haeckel, Goisern, 18. Dezember 1882

Dorf Goisern den 18t Dezember 1882

Lieber guter Freund!

Sie werden durch die Post ein kleines Kästchen erhalten, es enthält ein paar Blätter aus der Entstehungsgeschichte unseres Erdensternes. Ich bitte Sie, es mir als ein kleines Zeichen meiner Hochachtung und Verehrung gegen Sie, es von mir Anzunehmen. Obwohl Ihnen diese Steine wenig Intressieren werden, aber Sie haben gewiß unter Ihren Freunden einen Geologen den [Sie] damit eine Freude machen könten!

Verzeihen Sie mir meine Bäuerliche Unbeholfenheit, das ich meinen Drang, Ihnen einen schwachen Beweiß meiner Dankbarkeit, meiner Verehrung mitheillen zu können, nicht die Mitel besitze, Ihnen eine würdigere Gegenleistung machen zu können. Ich werde so lange ich Lebe Ihr Schuldner bleiben!

Denn nur Ihnen, und Feuerbach habe ich meine Zufriedenheit – mein ganzes Lebensglük zu verdanken! Ich weiß es noch ganz gut, wie ich früher noch den anerzogenen Glauben an eine Hölle u. Himmel und einen angeblichen „Herrgott“ und den durchgebrochenen || Zweifeln meiner Vernunft zertheilt war, habe ich wahre Seelenmartern empfunden; seitdem ich aber mit Ihrer und Feuerbachs Hülfe in allen Gebieten, aus welchen früher meine Haubtzweifel auftauchten, reine Bahn gemacht, bin ich ein ganzes, bin ein in mir selbst festbegründeter, ein mit vollen Selbstbewußtsein zufriedener Mensch geworden.

Das ich aber Ihre Schriften lesen und verstehen kann, das habe ich meinen längst verstorbenen Freunde Roßmäsler zu verdanken! Das war auch von den Göttlichen Einer –! Sie können sich es kaum vorstellen, welchen Genuß mir Ihre Bücher diese langen Winter-Abende hindurch gewähren! besonders Ihre Indien Reise und die Schöpfungsgeschichte. Ich bin stoltz darauf Ihr Freund und Zeitgenosse zu sein –! Denn Sie sind der Gründer einer neuen Dynastie in der Welt der Ideen, denn schon vor mehreren Jahren Ihr alter, zu früh verstorbener Freund David Strauß prophezeite, das mann den Deutschen Darwin als einen der größten Wohlthäter des menschlichen Geschlechtes [preisen] werde. Der Englische Darwin hat immer als Engländer sich abmühen müssen, um seine Forscherergebnisse der Wissenschaft mit den Kirchendogmen immer || mehr im Einklang zu bringen, und Compromisse zu schliessen, er mußte sich als ächter Engländer wohl hütten, den Theologen direkt den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Sie, als Deutscher Darwin, stehen für die Vorwärtsstrebenden Zeitgenossen um vielles Höher auf den geistigen Olymp! Nur Sie hatten Muth der Überzeugungstreue als ein ächter Mann, der keine Widerwärtigkeit, keinen Haß und Vervolgung gescheut hat –! Der Englische Darwin häte nie den Muth gehabt, wie Sie ihn Ihrer Schöpfungsgeschichte, in München – und das lezte mahl in Eisenach, gleich Luther auf der Warthburg!

Aber wo hin gerathe ich? verzeihe den Freund! Leben Sie wohl – und behalten Sie mir Ihre für mich kostbare Freundschaft, die in meinen so schönen Leben-Abend einen grossen theil meines Glükes Enthält.

Schlüßlich noch meinen Aufrichtigen warmen Glükwunsch zum Neuen Jahr! Lassen Sie mir Edler Menschenfreund, manches mahl ein Zeichen von Ihrem wohlergehen

Ihrem

fernenn, Sie so Hochverehrten Freunde zukomen.

Brief Metadaten

ID
3965
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich
Datierung
18.12.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 23,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3965
Zitiervorlage
Deubler, Konrad an Haeckel, Ernst; Goisern (Bad Goisern); 18.12.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_3965