Ernst Haeckel an Friedrich von Hellwald, Jena, 24. November 1873

Jena, 24· November 73.

Hochverehrter Herr und Freund!

Für Ihren freundlichen Brief nebst der Photographie, die mein Naturforscher-Album bereits schmückt, sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank, nicht minder für die höchst wohlwollende Besprechung der Schöpfungsgeschichte im „Ausland“, die dem Buche gewiß manche neuen Freunde erwerben wird. Meine offene Erklärung „Für Strauß“, der Sie zu meiner Freude auch ganz zustimmen, hat auf vielen Seiten, wo ich es gar nicht erwartet hatte, Eindruck gemacht, und habe ich dafür eine ganze Anzahl Briefe erhalten, die Dank-Adressen für diese geringe Probe moralischen Muthes sind.

Ihren Wunsch, Ihnen für das „Ausland“ eine Skizze meiner Orient-Reise zu schicken, hoffe ich in den Weihnachts-Ferien erfüllen zu können, wo ich einige Wochen Muße finden werde. Bis dahin bin ich noch ganz mit Vollendung einer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt, die ich Ihnen Ostern gedruckt zu übersenden hoffe.

Da ich von der Orient-Reise ziemlich ausführliche Briefe geschrieben und außerdem ein reiches Skizzenbuch mit Aquarellen zurückgebracht habe, hoffe ich, die Reiseschilderung noch in ungeschwächter Frische Ihnen liefern zu können.

In den nächsten Wochen werde ich mir erlauben, Ihnen zwei kleine Broschüren zu übersenden, welche die Arbeits-Resultate dieses Sommers sind. Der erste Aufsatz behandelt die Organisation der echten lnfusions-Thierchen, die bis auf die neueste Zeit streitig war. Ich liefere den Nachweis, dass die erst von Siebold 1845 aufgestellte Ansicht richtig ist, daß jedes Infusorium eine einzige, obwohl höchst vollkommen organisirte Zelle ist.

Der zweite Aufsatz dürfte allgemeines Interesse beanspruchen und beweist eingehend die zuerst in meinen „Kalkschwämmen“ aufgestellte und auch in der IV. Auflage der Schöpfungsgeschichte (S. XLII und S·444, 445; Titelblatt Fig. 5, 6) berührte Theorie, daß sich unser menschlicher Leib und der Leib aller anderen Thiere (– nur die Urthiere ausgenommen) aus denselben beiden primären Keimblättern entwickelt, welche bei der Gastrula vorübergehend und bei den niederen Schwämmen zeitlebens allein den ganzen Körper bilden. Zugleich habe ich hier den ersten Versuch gemacht, das relative Alter der verschiedenen Organ-Systeme des menschlichen und thierischen Körpers an der Hand der Keimesgeschichte zu bestimmen. Vielleicht dürfte dieser Theil meiner „Gasträatheorie“ einer Notiz im „Auslande“ werth sein.

Mit dem wiederholten herzlichsten Dank und freundlichen Grüßen

Hochachtungsvoll

Ihr ergebenster

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
39562
Gattung
Briefabschrift
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
24.11.1873
Sprache
Deutsch
Besitzende Institution
Unbekannt
Signatur
EHA Jena, A 39562
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hellwald, Friedrich von; Jena; 24.11.1873; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39562