Konrad Deubler an Ernst Haeckel, Goisern, 10. November 1875

Dorf Goisern 10 Nofbr 1875

Lieber guter Herr Professor!

Sie hatten wohl keine Ahnung in welcher verzweifelten traurigen Situation Ihre prachtvolle Interessante Broschiere „Brussa und der asiatische Olymp“ mich antreffen wird, und welche Freude – welchen Trost in meinen Unglük es auf mich machte, das Sie edler Kämpfer für die höchsten Interessen der Menschheit an mich wieder gedacht haben. Sie könen es mir wohl kaum glauben, mit welcher Achtung und Verehrung ich an Ihnen hänge, wie stolz ich auf Ihre Freundschaft bin. Ich Ungläubiger, ich kann mir keinen Gott, kein jenseits, und wie alle diese Mährchen heisen mögen, vorstellen. Hänge aber dafür mit so tieferer und innigerer Verehrung an den Menschen, in denen ich die Repräsentanten und Dolmetscher der höchsten Ideen unserer Zeit erkenne.

Wie glüklich und zufrieden ich mit meinen Weibe auf meinen Alpenhäuschen in Primesberg verlebt habe, waren Sie foriges Jahr selbst zeuge, || vor 8 tagen nahm alle diese herlichkeit ein Ende. Ein Schlaganfall traf mein sonst so gesundes Weib plötzlich in der Küche – Ich trug sie für todt ins Bett – sie erholte sich aber wieder, aber wie? Die ganze rechte Seite war gelähmt, die Zunge, Hand und Fuß. Sie konte kein Wort mehr mit mir Reden – den 7tn tag trat auch am rechten Lungenflügel eine Lähmung ein, jezt konte sie nur mit ungeheuerer Anstrengung Athem schöpfen, vorigen Samstag Nachts 12 Uhr war sie gestorben. Ich war die ganze Zeit keinen Augenblick von Ihrem Schmerzenslager gewichen. Während dieser Zeit bekam ich ihr Büchlein – den anderen tag erhielt ich einen Brief von einem Gesinungsgenossen und eifrigen Verehrer von Ihnen „Arnold Dodel“ aus Zürich. Das Buch meines Alten Freundes Feuerbach „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ Ihr heft – und Dodels Freundschaftsbrief, das waren die besten Tröstungen in diesen für mich so ernsten Stunden. 42 Jahre haben wir, ich und mein Weib gute und schlechte tage || mitsamen verlebt, Sie war mir ein guter treuer Kamerad – ein ächt deutsches Weib –! Mir war, als wenn Sie aus dem Grabe mir zum Abschied die Worte des Dichters noch zugeruffen häte

Ich geh’ Natur, in deine Hand,

Da ich ausgelebt, zurück;

Wo du bist, ist das Mutterland,

Dort blüht mir ewig Glük,

Tod ist ja nur ein Menschenworth,

Denn Tod ist weder hier noch dort.

Ich selbst bin noch frisch und Gesund, eine nahe Anverwante fürht mir jezt die Wirtschaft. Wenn Sie lieber Freund künftiger Sommer (wie ich gewiß hoffe) komen werden, so soll es Ihnen trotz meines Witwenstandes an nichts fehlen. (Das heißt von meinen einfachen rohen Begriffe angesehen).

Leben Sie wohl, und behalten Sie mich lieb.

Freundschaftlich

Ihr

Konrad Deubler

Brief Metadaten

ID
3949
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich
Datierung
10.11.1875
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 22,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3949
Zitiervorlage
Deubler, Konrad an Haeckel, Ernst; Goisern (Bad Goisern); 10.11.1875; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_3949