Konrad Deubler an Ernst Haeckel, Goisern, [10. oder 12. Januar 1874]

Dorf Goisern in Salzkamergut

Ober-Östereich nächst Ischl 1874.

Lieber guter Docktor!

Verzeihen Sie einem ungebildeten Landmann, das ich trotz meiner Fehlerhaftigkeit an Styl und sonstiger Schreibart es wage, an Sie zu schreiben.

Ich habe mir forigen Herbst beim Holzhauen im Walde meinen Fuß mit der Axt bedeutend verlezt, und muß fieleicht in folge dessen bis zum Frühjahr das Zimmer hüten. Bey dieser Gelegenheit habe ich Zeit genug zum lesen, und über das gelesene auch nachzudenken. Ob wohl ich mich in meiner niederigen Lebensstellung in dem Kampfe um das Dasein tüchtig herumbalgen muß, so habe ich mir doch in der länge der Zeit einige Naturwissenschaftliche Bücher angekauft. Es war noch lange vor dem für mich so verhängnisfolen Jahr 48. „Der Mensch im Spiegel der Natur von Roßmässler „Das Wesen des Christenthums und über Todt und Unsterblichkeit haben meine ganze Welt und Gottanschauung umgewandelt. Ich machte kein Hehla daraus, und erklärte öfentlich meine Ansichten. Im Jahre 1853 wurde ich wegen Religionsstörung und Verbreitung Goteslästerlicher schlechter Bücher wie Alexander Humbolds Ansichten der Natur, Rosmässler und || die besonders ganz schlechten von Feuerbach Strauß leben Jesu u. s. w. gefangen genomen, mein Buchhändler Fink in Linz wurde von der Polizei sein Handbuch wegen meiner abgenommen, da fanden sie, das ich im Verlauf der letzten Jahre um 18hundert gulden Bücher abgenomen hate. Jezt war die grosse Frageb an mich, an wen [ich] alle diese schändlichen Bücher verkauft hätte, zum glük waren gerade das frühere Jahr mehrere Familien nach Amerika ausgewandert, an diese sagte ich, hate ich Sie alle verkauft, so unglaublich meine Angabe war, ich blieb dabey, mein Urtheil nach 1½jähriger, strenger Untersuchungshaft war – 2 Jahre schweren Kerker nach Brünn. Dann wurde ich noch zu dem nach überstandener Straffe 2 Jahre nach Olmütz und Iglau Interniert. 4 Jahre war ich meiner Heimath entrissen.

Aber was konnten Sie einen Menschen anhaben, der die Werke Feuerbachs namentlich seine Gedanken über Tod und Unsterblichkeit gelesen? Ich war imer Gesund wohlauf. Im Jahre 1857 wurde ich in volge einer Amnestie wieder frey. Seitdem war ich wieder zum Bürgermeister gewählt! Nach meiner Freilassung machte ich eine Reise zum Feuerbach nach Nürnberg || um diesen grossen muthigen Denker persönlich kennen zu lernen, spätter kam er zu mir nach Goisern auf einige Monathe auf Besuch, wir schlossen Freundschaft bis zu seinem Tode, kurz vor seinem Ableben habe ich ihn noch auf Rechenberg besucht. Mir ist er unersetzlich!

Da ich, wie ich schon im Anfang dieses schreibens Erwähnt habe, das Zimmer hüten muß, so habe ich alle meiner Heiligen gedacht, und Ihre Weltenerobernden Schriften die ich besitze durchlesen. Moleschots Kreislauf des Lebens, und Ihre „Natürliche Schöpfungs-Geschichte 3te Auflage. Mich hat diese Schrift so begeistert, daß ich umöglich [!] es unterlassen kann Ihnen dafür zu danken! Mit meinen herzlichen Dank aber zugleich eine Bitte hinzufügen – ob es den nicht möglich wäre Ihre Photografie oder sonst ein Bild von Ihnen haben zu können? Dünkt Ihnen meine bitte unbescheiden, so verzeihen Sie einem einfachen Landmann der Sie als einen der größten Naturforscher unserer Zeitc so Inig Verehrth und Hochachtet! Nach meiner Ansicht ist nur || die Verbreitung Naturwissenschaftlicher Kenntnisse im stande uns d Menschen würdigere bessere zustände herbeyzuführen. Der längstdahin geschiedene Rossmäsler gab einst eine Zeitschrift heraus „Die Heimath“ in meiner Gemeinde verbreitete ich mehrere Exemblare, die volge dafon war? das wir in ganz Oberöstereich die einzige Evangelische sind, die eine Convessionslose Schule durchgesetzt haben. Da hat aber unser Evangelischer eine grösere Oposition gemacht als der Katholische.

Also noch einmall meinen herzlichen Dank für Ihr so herrlich geschriebnes Buch! Diese Schrift ist eine Weltgeschichtliche Thadt!

Das Sie einen schwachen Begrif von meiner schönen Heimath sich machen können, so lege ich Ihnen eine Ansicht von Gosau See bey mit dem Eisfeld und Dachstein.

In der Hofnung das Sie meine Bitte nicht übel aufnehmen möchten, zeichne ich mich

Achtungsvoll

Konrad Deubler

in Dorf Goisern bey Ischl.

a irrtüml.: Hell; b eingef.: Frage; c eingef.: Zeit; d gestr.: Menschenwürdigere

Brief Metadaten

ID
3941
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich
Datierung
10. oder 12.01.1874
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 22,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3941
Beilagen
Ansicht vom Gosau-See, Dachstein im Hintergrund [nicht beim Brief liegend]
Zitiervorlage
Deubler, Konrad an Haeckel, Ernst; Goisern (Bad Goisern); 10. oder 12.01.1874; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_3941