Leonhard Schultze an Ernst Haeckel, Kapstadt, 6. Januar 1904

Kapstadt. 6.1.1904.

Hochverehrer Herr Professor!

Der 16te Februar nähert sich wieder und ruft mir in’s Gedächtnis, wie schön es war, als wir uns vor 10 Jahren Alle um Sie versammelten.

Den Viel-Einschließenden Dank, den ich Ihnen damals dafür aussprach, daß Sie mir die erste Grundlage einer philosophischen Naturbeobachtung angeboten haben, werde ich Ihnen immer schulden und deshalb wieder-||hole ich ihn aus vollem Herzen heute zu Ihrem 70ten Geburtstage!

Mein inniger Wunsch ist, daß Sie in ein glückliches neues Jahrzehnt Ihres Lebens gehen! Wo ich sehe, daß ich, wenn auch vielleicht nur im Kleinen, dazu etwas beitragen kann, soll es mit der Freudigkeit geschehen, als ob nie ein Charakterkrüppel sich zwischen Sie und mich gedrängt hätte. Wo nichts zu bessern ist, bin ich längst vom nichtigen Moralisten zum lachenden Philosophen geworden. Die Größe der Natur, die mich seit einem Jahre umgiebt, läßt mir die Triebfedern menschlichen Handelns, die || ich an mir habe spüren müssen, doppelt klein erscheinen, nicht werth, sich aufzuregen. Oft habe ich dabei an das gedacht, was Sie hochverehrter Herr Professor in ähnlicher Hinsicht selbst erfahren haben. Im Laufe der Jahre habe ich Sie ebensoviel, wenn nicht mehr Verdruß erleben sehen, wenn das Publikum Sie befeindete, als Sie Freude gehabt haben, wenn es Ihnen Beifall klatschte. So wünsche ich Ihnen denn heute auch eine heitere Verachtung der vielköpfigen Pygmäenherde, die Ihnen hier Lorbeeren abzupft und dort Staub in’s Gesicht scharrt.

Ihre Schüler und Freunde haben || Ihnen in einer Festschrift auch wissenschaftlich ihre Glückwünsche überreicht. Es ist mir ein aufrichtiger Kummer, daß ich nicht unter ihnen sein kann: Meine Reise hat mich an der Mitarbeit verhindert, und ich gehöre noch nicht zu denen, die immer etwas Publikationsreifes in ihrem Pult liegen haben. So muß ich später das Versäumte nachholen.

Seit Weihnachten bin ich in Kapstadt, um meine Meeresstudien abzuschließen. Anfang Februar gehe ich nach Süd-West-Afrika zurück, die Vorbereitungen zu einer Reise über Windhoek nach Gobabis und weiter östlich in || die Kalahari sind getroffen. Sie sehen, ich breche ein 2tes Jahr an, und dazu bitte ich um Ihre Zustimmung. 2 Jahre Urlaub ist viel, und ich frage mich, ob ich damit nicht das Recht verliere, Ihr Assistent zu bleiben. Lassen Sie mich offen meinen Wunsch aussprechen: Ich möchte, wie es bisher war, mit Ihnen zusammenarbeiten. Halten Sie es aber für unbillig, a so lange eine Stelle offen zu halten, die ein aufstrebender Jüngerer haben soll, so ehre ich selbstverständlich diese Entscheidung und bitte nur um Eines: Lassen Sie mich wie bisher mit Ihnen zusammen || im „kleinen Praktikum“ lehren, es war immer meine Lieblingspflicht.

Im Herbst bat ich Sie um eine kurze Mittheilung über das Wohlergehen Ihrer Familie, vielleicht finden Sie jetzt Zeit zu ein paar Zeilen. Denn wie ich höre haben Sie sich für den Winter frei gemacht um jeder Feier Ihres Geburtstages zu entgehen. Mögen Sie dann mit der alten Schaffenslust Ihre gewohnte Tätigkeit wieder aufnehmen! Bitte sagen Sie Ihrer Frau Gemahlin meine besten Wünsche für Ihre Gesundheit; die kräftigt sich hoffentlich neu im Süden. Walther und seine Frau bitte ich || vielmals zu grüßen!

Mit dem herzlichsten Glückwunsch zum 16ten Februar bleibe ich

Ihr dankbar ergebener Schüler

L. Schultze.

(Adr. Swakopmund. Postlagernd.)

a gestr.: sol

Brief Metadaten

ID
39277
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Südafrika
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsch Südwestafrika
Datierung
06.01.1904
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
13,2 x 21,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39277
Zitiervorlage
Schultze, Leonhard an Haeckel, Ernst; Kapstadt; 06.01.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39277