Leonhard Schultze an Ernst Haeckel, Bergen, 25. Juli 1896

Bergen. biologische Station.

d. 25 Juli 96.

Hochverehrter Herr Professor!

Als ich von Jena abreiste, war es mein fester Plan, Ihnen recht bald Nachricht von mir zu geben. Aber unterwegs habe ich mein Versprechen vergessen, da habe ich die Großartigkeit der nordischen Natur, die mir jeder neue Tag in immer neuen Formen zeigte, in vollen Zügen genossen und nicht daran gedacht, rückwärts zu sehen. Erst hier in Bergen, meinem ersten Aufenthalt für längere Zeit, wo mich die regelmäßig Arbeit an der || Station an meine Tätigkeit im Jenenser Laboratorium täglich erinnert, wird der gute Wille zur That. Von einem kurzen Aufenthalt in Hamburg abgesehen (der dem Naturhistorischen Museum galt) machte ich in Kopenhagen meine erste Rast. Unter der Führung des Konservators für Wirbeltiere Dr Winge, an den mich Herr Prof. Kükenthal empfahl, lernte ich die reichen Schätze der zoologischen Sammlungen kennen. Ich sah hier die riesenartigen Vorfahren unserer Edentaten, von deren Dimensionen ich mir aus den mtr-Angaben der Lehrbücher bisher kein anschauliches Bild machen konnte. Das kunstvoll zusammengesetzte Skelet des Megatherium americanum, die mächti||gen Panzer der Glyptodonten werden mir immer im Gedächtnis bleiben. Der Gang durch das Museum brachte mir überhaupt eine Fülle von Anregungen, aber es ist mir auch später immer wieder so gegangen: ich kann die Eindrücke, die ich von einem kurzen, nur nach Stunden zählenden Besuch einer so großen Sammlung empfangen, unmöglich alle im Notizbuch festhalten; ich hoffe, die Erinnerung an das Gesehene wird sich gelegentlich zur rechten Zeit von selbst wieder einstellen. An einem anderen Tage besuchte ich Herrn Prof. Krabbe. Er empfing mich mit streng forschender Miene und trat so nahe an mich heran, als ob er den jungen Menschen mit || dem unbekannten Namen erst unter Lupen-Vergrößerung betrachten wollte. Aber sein Gesicht erheiterte sich und ich war äußerst wohlwollend aufgenommen, als ich Ihren Namen nannte und ihm die Karte vorlas, die Sie mir mitgegeben hatten. Bei dieser Gelegenheit sage ich Ihnen, hochverehrter Herr Professor, noch einmal meinen herzlichsten Dank für die Empfehlungsbriefe, mit denen Sie mich so überaus freigebig ausgestattet haben; sie werden mir noch manche Thür öffnen, die mir sonst verschlossen wäre.

Herr Prof. Krabbe erkundigte sich sehr eingehend nach Ihrem Befinden und erwiedert herzlich Ihren Gruß. Er zeigte mir auch ein altes Bild, das Sie als || 23-jährigen Studenten der Medizin mit einigen anderen Schülern Joh. Müllers darstellt. Herr Prof. Krabbe ging mit mir in die Veterinärklinik, wo er zu examiniren hatte und machte mich mit seinem Assistenten bekannt, in dessen Begleitung ich dann die Sammlungen des z. T. neu errichteten und sehr schön ausgestatteten Instituts kennen lernte. Von besonderem Interesse war mir die merkwürdige Sammlung von Mißgeburten verschiedener Haustiere.

Neben meinen wissenschaftlichen Interessen habe ich natürlich die Sehenswürdigkeiten der Stadt und ihre Umgebung nicht vernachlässigt. Es war ein herrlicher Ausflug, den ich am Nachmittag vor meiner Weiterreise an der grünen Küste Seelands entlang nordwärts nach Skodsburg machte, durch Buchenwälder, || wie ich sie noch nirgends so dicht und dunkel gesehen habe. Ich verließ Kopenhagen mit den schönsten Erinnerungen. Die Reise ging nun weiter über Helsingborg, wo ich schwedisches Land betrat, zunächst nach Trolhättan, nach einem 1-tägigen Aufenthalt an den imposanten Stromschnellen u. Fällen des Götaelvs kam ich am Abend des 27ten Juni in Kristiania an.

Bei Herrn Prof. Sars führte mich der Gruß ein, den ich ihm von Ihnen überbrachte. Ich wurde sehr freundlich empfangen und hatte ihm viel von Ihnen zu erzählen. Auf seinem Arbeitsplatz standen Batterien von Spiritusgläsern, die mit Krebsen gefüllt waren. Er fühlt, wie er mir sagte, das Alter nahen, und deshalb konzentrirt er seine Kraft ganz auf dieses Gebiet, mit dessen Bearbeitung er später einmal seine wis-||senschaftliche Tätigkeit abschließen will. Ich sah auch das zoologische Laboratorium: Im besten Falle können 4-5a Prakticanten in diesen 2 kleinen Kellerräumen arbeiten; ich hatte mir die Arbeitsplätze an der einzigen Universität für Gesammt-Norwegen i. d. That etwas anders vorgestellt.

Auf eine Empfehlung von Herrn Prof. Kükenthal hin lernte ich auch den Anatomen, Prof. Guldberg kennen.

Kristiania war nun der Ausgangspunkt meiner Reise nach der Westküste. Zunächst ging es südlich nach Skien, am Ausgang des Fjords, dann fuhr ich auf einem primitiven Schiff in die schönen Seen Thelemarkens ein und bestieg in Dalen das Kariol. Welch eine großartige Natur ist das norwegische Gebirge! Wenn ich zurückgekommen bin, darf ich Ihnen vielleicht von diesen genußreichen || 3 Tagesreisen erzählen, die Schönheit dieser Landschaften läßt sich nicht mit kurzen Worten schildern. In Odde erreichte ich das südliche Ende des Hardongerfjords, von da ging es nach Eide und Vossevangen. Bei strömendem Regen erreichte ich Bergen, das ersehnte Reiseziel. Jetzt kenne ich meine Umgebung genauer u. kann sagen, daß sie mir in jeder Beziehung zusagt. Leider habe ich bis jetzt noch keine Meduse gefangen, die Schwärme werden aber nicht mehr lange auf sich warten lassen. Das Dredsch-Material giebt mir indessen reiche Beschäftigung.

Ich habe wohl Ihre kostbare Zeit schon zu lange in Anspruch genommen, aber wer so schöne Erinnerungen auffrischt, versäumt es leicht, rechtzeitig zu Ende zu kommen.

Ich hoffe, daß Sie mit dem ablaufenden Semester recht zufrieden sind u. sich nun eine Ferien Erholung werden gönnen können. –

Mit hochachtungsvollem, herzlichem Gruß verbleibe ich Ihr stets dankbar ergebener Schüler

L. Schultze.

a eingef.: -5

Brief Metadaten

ID
39254
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Norwegen
Entstehungsland zeitgenössisch
Norwegen
Datierung
25.07.1896
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39254
Zitiervorlage
Schultze, Leonhard an Haeckel, Ernst; Bergen; 25.07.1896; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39254