Ernst Haeckel an Leonhard Schultze, Jena, 14. November 1904

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena

14.11.1904.

Lieber Herr Doctor!

Vor einigen Tagen war ich bei Ihrem lieben Vater, um mich nach Ihrem Befinden und Ihrer jetzigen Adresse zu erkundigen. Er teilte mir mit, daß es Ihnen gut ginge und Sie jetzt in Kimberley seien, Briefe aber nach Capstadt zu richten seien. (Deutsches Consulat). Ich fand Ihren Vater sehr munter und rüstig auch der Mutter und den Geschwistern geht es gut. Nur Ihr zweiter Bruder, der O. Leutnant, ist von den Herrerro durch einen Schuß in den linken Ellenbogen verwundet und wird vielleicht leider den linken Arm verlieren. Das werden Sie aber schon Alles wissen. ||

Seit ich Ihnen (im Mai?) nach Swakopmund schrieb, ist wieder ein halbes Jahr vergangen, ohne daß ich und Ihre anderen hiesigen Freunde direct von Ihnen gehört haben. Gedruckt ist wohl Nichts über die Ergebnisse Ihrer Reise?

Sind Sie mit denselben zufrieden? Und wasa gedenken Sie zu tun? Hoffentlich kehren Sie zu Ostern zurück, damit wir im Sommer 1905 unser Zoologisches Practicum wieder gemeinsam abhalten können. Gestern Abend habe ich Ihrer lebhaft gedacht, da der Africa-Reisende C. G. Schillings in der Geographischen Gesellschaft seine wundervollen Photogramme von der wilden Säugetieren und Vögeln Ostafricas demonstrirte (automatisch war der Elephant, Löwen etc mithilfe Blitzlicht in der Wildniß aufgenommen). ||

Meine Absicht, nach Abschluß des 70sten Jahres ein „Otium cum dignitate“ anzutreten, konnte ich bisher nicht ausführen. Druck und Correctur des Buches über die „Lebenswunder“, das ich in Rapallo innerhalb 4 Monaten niedergeschrieben, hielten mich den ganzen Sommer in anstrengender Arbeit. Nachdem es vor 5 Wochen erschienen, sind bereits über 5000 Exemplare abgesetzt. Sie werden das Buch bei Prof. A. Dendy in der Capstadt (dem ich es schickte) sehen; es ist 560 Seiten stark. –

Von den „Welträthseln“ ist jetzt die 140. Auflage (à 1000) erschienen; auch ein Dutzend Übersetzungen.

Von den „Kunstformen“ ist das letzte Heft (10.) im Frühjahr ausgegeben. Sie erhalten Alles im Frühjahr hier; ich will Sie in Ihrer Reise-Poesie vom S. Africa nicht stören und belästigen. ||

Im Zoologischen Institut ist die Hauptperson, unser guter Franz Pohle, glücklicher Weise noch wohlauf. Der Assistent Max Wolff (talentvoll, aber sehr leichtsinnig! –) ist seit Pfingsten im Neurophysiologischen Institut (Oskar Vogt) in Berlin ebenso sein Nachfolger Max Rauther (früher Tübingen) der nur ½ Jahr hier war. Jetzt ist Assistent ein stud. Röhler (tüchtig und fleißig).

Prof. Ziegler hat Hoffnung, bald fortzukommen, in eine größere Stellung (vielleicht an Stelle von Nehring in Berlin). Moebius will abgehen. –

Walter (der jetzt hier 32 Bilder ausstellt) ist im September von Sonthofen mit Frau und 2 Töchterchen nach München übergesiedelt (Lachner-Str. 18); er ist gesund und guter Dinge. Meiner Frau und Tochter geht es leidlich.

– Schreiben Sie bald einmal Ihrem alten (Halb-Invaliden) Ernst Haeckel. ||

Im Sommer hatten wir über 1000 immatriculirte Studenten (ich in der Allgemeinen Zoologie 105).b ||

Auch das Winter-Semester ist fast ebenso stark besucht, das Practicum wieder voll (30.).c ||

An Prof. Dendy in Capstadt beste Grüße.d

a korr. aus: Was; b Erster Nachsatz („Im Sommer … 105”) vertikal am linken Rand von Seite 3 nachgetragen; c Zweiter Nachsatz („Auch […](30.).”) am linken Rand von Seite 2 vertikal nachgetragen; c Dritter Nachsatz („An … Grüße.”) vertikal am linken Rand von Seite 4 nachgetragen.

Brief Metadaten

ID
39239
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielland
Südafrika
Datierung
14.11.1904
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39239
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Schultze, Leo; Jena; 14.11.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39239