Leonhard Schultze an Ernst Haeckel, Jena, 24. April 1900

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

JENA, DEN 24.4.1900.

Lieber Herr Doctor!

Aus Ihrem zweiten Briefe, der mich sehr interessirt hat, ersehe ich zu meinem Vergnügen, daß die unangenehme Erkrankung beseitigt ist, von der mir der erste meldete. Ich erhielt diesen erst nach der Rückkehr von einer kurzen Ferien-Reise nach Berlin u. Leipzig. In Berlin sagte mir Franz Eilhard Schulze, daß Ihr Gesuch bei der Berliner Academie gute Aussichten hat. Daß Sie mit unserem herrlichen Messina und seinem unvergleichlichen Plankton zufrieden sind, freut mich sehr; verwechseln Sie nur nicht Ihre Salpen-herzen mit demjenigen der „schwarzäugigen Sicilianerin“, die mit Ihnen zusammen arbeitet! ||

Gestern Abend stand in der Jenaischen Zeitung, daß Ihr Freund Walther Nothnagel sich wegen eines Liebes-Verhältnisses das Leben genommen hat!! – Prof. Ziegler ist seit 8 Tagen zurück, sehr befriedigt von Brüssel und London. Mit der großen „Stiftung“ in Brüssel scheint es aber Nichts zu werden! –

Mein eigenes Schicksal hat inzwischen wieder einen Seitensprung gemacht. In der schlaflosen Osternacht wurde mir klar, daß der lange gehegte Wunsch, noch einmal die Tropen zu sehen, endlich zum Entschluß werden müsse. Ich habe heute mein Urlaubs-Gesuch für nächsten Winter eingereicht und werde im September (oder August) nach Singapore und Java gehen, von dort nach einer der Austral-Malayischen Inseln (Ambon, Celebes?). ||

Im April 1901 hoffe ich, reich mit neuen „Kunstformen“ und Protisten-Studien beladen, nach Jena zurückzukehren. Sollte das Schicksal aber anders beschließen und meine „unsterbliche Seele“ ihr Neuroplasma in einfachere Kohlenstoff-Verbindungen umsetzen, so verliert die Welt auch Nichts dabei. Die jüngeren Zoologen werden froh sein, daß ein Stück „Altes Eisen“ beseitigt ist! –

Die hartnäckige Influenza, die hier noch nach Ihrer Abreise viele Menschen plagte, hält meine arme Frau noch immer an’s Bett gefesselt. Die ganze erste Hälfte des April war schauderhaft kalt und rauh; erst mit dem Ostertage schien wieder die liebe Sonne. Wir beneideten Sie sehr um den Sicilischen Frühling – ich besonders in Erinnerung an unsere schönen Reisen vor 3 Jahren. ||

Meine Frau wird wahrscheinlich mit unserer Tochter den Winter im Süden zubringen.

Das beifolgende „Lebensbild“ von Bölsche bitte ich, falls Sie es schon erhalten haben, an Ficalbi zu geben; sonst behalten Sie es. Unsere alten Sicilianer Freunde bitte ich herzlich zu grüßen, vor Allen Ficalbi und seine Sappho ( – „mia cara figlia adottiva“! – ), Consul Martens nebst Gattin („colle gambettine graziore“!) – Kwietniewski, Weiss, etc., – Marco und Nicola nicht zu vergessen! –

Heut hat das Zoologische Laboratorium gut begonnen, mit 5 altena und 3 neuen Practicanten (2 Engländern). Gross promovirt nächsten Samstag (5/5), Prof. Ziegler und Gross grüßen; auch Pohle!

Mit besten Wünschen u. herzlichen Grüßen

Ihr alter

Ernst Haeckel.

a eingef.: alten

Brief Metadaten

ID
39233
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Zielort
Zielland
Italien
Datierung
24.04.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
1
Format
14,2 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39233
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Schultze, Leo; Jena; 24.04.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39233