Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 12. Januar 1860

Messina. 12.1.60.

Tausend Dank, meine liebste Änni, für Deinen lieben, lieben letzten Brief, durch den Du mich wieder sehr erfreut hast.

Das Zusammentreffen der kleinen Sylvesterphantasie mit dem Besuch von Bezold und den dadurch neu belebten Jena Hoffnungen hat mich köstlich amüsirt und Du scheinst mich durch Deine allzu rosigen und hoffnungslustigen Zukunftsideen wirklich angesteckt zu haben; wenigstens träume ich seitdem in der That Tag und Nacht so lebhaft von unsrer seligsten Zukunft, daß ich mich nächster Tage einmal ordentlich ausschelten und meinen übermüthigen Gedanken einen festen Zügel anlegen muß, um sie in eine kühlere Bahn zu lenken. Meine Idee, mich nächsten Winter vielleicht in Jena zu habilitiren, die durch Gegenbaur selbst sehr begünstigt wird, hat dadurch einen neuen Segen erhalten und es wäre nicht unmöglich, daß dann in kürzerer oder längerer Zeit wirklich eine kleine Professur der Zoologie nachfolgte und damit die Erreichung des Ziels meiner innigsten Wünsche, die Verwirklichung aller meiner süßesten Hoffnungen!

Ach, Liebchen, je mehr ich mich täglich mit dem Leben, in das wir nun einmal als Menschen hinein gesetzt sind, aussöhne, mich in seine viele Schwächen und Unvollkommenheiten finden lerne, je mehr ich über mich selbst klar werde und einsehe, daß ich am Ende doch Material genug habe, ein recht glücklicher Mensch zu werden, desto lebhafter empfinde ich das liebste Verlangen nach dem Frieden und der Ruhe, dem glückseligen Stilleben, das mir nur in Deinem Besitze und im stolzesten glücklichsten Zusammenleben mit Dir bestem liebsten Herzen blüht.

Durch die Hoffnung, welche jetzt endlich einmal starke Wurzel in meinem unruhigen zweifelnden Gemüthe zu fassen scheint, werden auch alle Kräfte neu gestählt, alle Nerven doppelt angespornt zu verdoppelter, verstärkter Arbeitsthätigkeit, die mir jetzt die süßeste Lust ist, theils durch ihr eignes hohes Interesse, theils durch das selige Bewusstsein, dadurch unserer endlichen Vereinigung, a dem heiß ersehnten Ziele aller Wünsche vorzuarbeiten und sie vielleicht direct dadurch herbeizuführen. ||

Je mehr ich übrigens der Hoffnung zuneige, daß etwas aus Jena wird, wenigstens aus dem Habilitiren, desto mehr möchte ich Dich, aus verschiedenen Gründen, bitten, nicht darüber zu sprechen. Ich fürchte, daß dann leicht etwas dazwischen kommen könnte. Wenn von meiner Habilitation im künftigen Winter die Rede ist, so sprich nur immer von Berlin, was ja auch wohl möglich ist. Auch den Eltern stelle Jena nur als entferntere Wahrscheinlichkeit dar.

– Deine Frage wegen der Palazzate wirst Du schon durch den letzten Brief vom Neujahrstag beantwortet gefunden haben. Da das Bild die volle Front derselben darzustellen scheint, ist möglicher Weise auch das Victoria Hôtel (gerade in der Mitte oben) darauf angedeutet, unter allen einstöckigen Häusern durch ein kleines aufgesetztes Thürmchen vorragend. Mein Fensterchen liegt grade oben über dem Schild. Die Kirche liegt grade im Rücken des Hôtels, etwas weiter nach links. – Der Hafen war dieser Abende wieder ganz reizend, wo der Vollmond sein klares liebes Licht über die herrliche Marina ausgoß. Nichts ist poetischer als der Aufstieg des Vollmonds zwischen zerissenen Wolken über den calabrischen Bergen, wenn erst der bloße röthliche Schein schon lange über der dunkeln Bergmasse liegt, und dann auf einmal die rothe Feuerkugel sich langsam erhebt und höher und höher steigend, die schwarzen ihn streifenden Wolken zurücklassend, immer reiner und klarer wird, bis er zuletzt als vollendete Silberkugel in dem tiefblauen Äther schwebt.

Ich dachte dabei an die Liebe, wie sie sich aus dem Feuer der ersten Leidenschaft allmählich zu der höheren reineren Gluth des innigsten tiefsten Gefühlsleben abklärt. – Der Vollmondabend war so reizend am Montag, daß ich ein paar Stunden am Strand hingelaufen bin und den Winden und dem lieben Vertrauten die innigsten Grüße nach Norden mitgab.

Den lieben Alten besten Gruß, mein liebstes Herz. Und Dir selbst den innigsten Gruß von Deinem treuen Schatz.

Nun ist ja bald schon ein ganzes Jahr überwunden. Diese 3 Monate werden noch rasch genug dazukommen!

Schreib mir doch, wie lang Richthofen noch in Berlin bleibt.

a gestr., um 180° gedreht: Herrn Hofrath | Messina 30. December 59 | Verehrtester

Brief Metadaten

ID
39219
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich beider Sizilien
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
12.01.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39219
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sethe, Anna; Messina; 12.01.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_39219