Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 24. September 1867
Jena Dienstag 24/9 67
Liebste Eltern!
Gestern Abend um 7 Uhr bin ich nach fünfwöchentlicher, sehr glücklicher Hochzeitsreise glücklich mit meiner jungen lieben Frau hier eingetroffen. Der Schluß unserer Reise war noch sehr lohnend. Unsern letzten Brief aus Wallenstadt werdet ihr erhalten haben (abgesandt am 17.) Am Mittwoch 18. Sept. Morgens fuhren wir beim herrlichsten Wetter über den großartigen Wallenstadter See, der nach allem Gesehenen uns immer noch einen sehr großen Eindruck machte.
Um Mittag per Dampfboot über den Züricher See. Durch Zürich selbst fuhren wir wegen der herrschenden Cholera gleich durch, und per Eisenbahn nach Schaffhausen. Dort verbrachten wie mehrere höchst genußreiche Stunden am Rheinfall und dessen Umgebung. Wir übernachteten in Dachsen, nur ¼ Stunde vom Rheinfall. ||
Donnerstag 19. Sept. fuhren wir morgens per Eisenbahn immer längs des rechten Rheinufers über Schaffhausen, Waldshut, Lauffenburg und Rheinfelden nach Basel. In Basel verbrachten wir einen sehr schönen Nachmittag vergnüglich an der prachtvollen Flußansicht der Stadt, an dem sehr schönen Dom und einigen herrlichen Landschaftsbildern im Museum uns erfreuend. Abends fuhren wir mit der Bahn von Basel nach Freiburg im Breisgau, wo wir übernachteten.
Freitag 20. Sept., an Bruder Carls Geburtstag, dessen ich viel gedachte, per Bahn von Basel nach Heidelberg. Von Appenweier aus per Bahn um Mittag ein sehr lohnender Abstecher nach Strassburg, wo wir in Anschauung des prachtvollen Doms 3 sehr schöne Stunden verlebten. Agnes amüsierte es sehr nun außer Baiern, Tyrol, der Schweiz und Baden auch noch Frankreich und den Rhein zu sehen, und französisch sprechen zu hören.
Samstag 21 Sept. verbrachten wir einen sehr schönen Vormittag auf dem Heidelberger Schloß, und fuhren Mittags per Bahn von Heidelberg nach Mannheim, von dort per Dampfschiff auf dem Rhein nach Mainz, wo wir Abends von dem erleuchteten Dom noch einen sehr imposanten und eigenthümlich feierlichen Eindruck erhielten. ||
Sonntag 22. September Rheinfahrt per Dampfschiff von Mainz bis Coblenz (9–2 Uhr). Obgleich das schönste Wetter und Agnes auf den Rhein sehr gespannt war, machten uns doch die Rheinufer fast gar keinen Eindruck. Wir waren durch die prachtvollen Naturgenüsse der vorhergegangenen Wochen zu sehr verwöhnt, um noch am Niederrhein Gefallen finden zu können. Selbst Stolzenfels, das wir bestiegen, einer der schönsten Rheinpunkte, ließ uns sehr kalt. Wenn man 5 Wochen lang die gewaltigen Gebirgsmassen der Alpen mit ihren prächtigen Formen und Farben, ihren Schneebergen und Gletschern, Wasserfällen und Felsmassen, Urwäldern und Alpenmatten gesehen hat, dann können diese flachen, niedrigen Rheinufer mit ihren durchweg unschönen Berglinien, dem niedrigen Buschwald und dem kleinlichen Felsgewürfel, ebenso wenig Eindruck machen, als der Fluß selbst mit seinen trüben Fluthen und seinen langweiligen Uferlinien. Der Rhein ist in der That durchaus unmalerisch, wenn man von seinen Schlössern und Ruinen absieht. || Wir wollten ursprünglich eigentlich noch Sobernheim besuchen und Rheinabwärts nach Bonn fahren, da aber Agnes der Rhein gar nicht gefiel, und sie überdem große Sehnsucht nach Jena hatte, fuhren wir noch am Sonntag Nachmittag durch das Lachthal von Coblenz über Wetzlar nach Giessen. Montag 23. Sept. per Bahn von Giessen nach Apolda, wo wir um 5 Uhr Nachmittags anlangten und im Einspänner nach Jena herüber fuhren. Wir fanden hier alles sehr nett in Ordnung, Mutter Emma und Clara wohl, Bertha leidlich.
Wir sind sehr glücklich und vergnügt und wollen morgen anfangen, uns gehörig einzurichten. Es ist hier alles noch sehr ferienstill. Ich werde bald tüchtig an die Arbeit gehen, auf die ich mich nach der langen Bummelei sehr freue.
Unsere Reise war reizend, mit Ausnahme von 4 Regentagen in den ganzen fünf Wochen vom herrlichsten schönsten Wetter begünstigt. Agnes ist ganz außer sich vor Vergnügen und Entzücken, und mir machte es sehr viel Spaß, ihr alles mir schon so wohl Bekannte zu zeigen. [Text bricht ab]