Delle Grazie, Marie Eugenie

Marie Eugenie delle Grazie an Ernst Haeckel, Wien, 27. April 1909

Wien, 27. 4. 1909.

Hochverehrter Meister!

Denken Sie nicht übel von mir, wenn ich erst jetzt dazukomme für Ihr liebes, mich so hoch ehrendes Schreiben zu danken. Brief und Beilagen haben mir eine große Freude bereitet. Leider war ich damals mit der Vollendung meines nächsten Werkes beschäftigt und unmittelbar nach Vollendung des Werkes drängten die Vorbereitungen zu unserer zweiten Italienreise, die wir am 13. März antraten. Seit Freitag sind wir wieder in Wien und erst hier komm’ ich dazu, den Brief zu schreiben, || den ich in Gedanken von einer Nacht Italiens zur anderen mit mir getragen. Es waren herrliche Tage und Wochen die wir dort wieder verleben durften. Aber Venedig – Florenz, Rom, Verona in sechs Wochen nur gründlich zu nehmen. – Zuletzt kamen wir ganz erschöpft in unserem lieben Salò (am Gardasee) an. Und erst dort, inmitten der paradiesischen Landschaft – kam ich wieder etwas zur Ruhe und damit zum beschaulichen Nachgenuß all’ des Schönen und Herrlichen, das ich in dieser kurzen Zeit genießen durfte. – Glücklich macht || mich die Freude, die Sie, theurer Meister über „Heilige u. Menschen“ äußern. Ihre liebe Gegenwart, von uns Beiden nun schon so lange vermißt – war mir während der Arbeit an diesem Werke eine stete Empfindung – ich hörte Sie reden, sah sie lächeln – die blauen Kämpferaugen leuchten und strahlen – so hatt’ ich meinen doppelten Lohn weg. Der Roman erregt Aufsehen und findet schon jetzt in allen großen Blättern die ehrendste Anerkennung.

Sehr großen Wert würde ich darauf legen, dieses Werk auch in den monistischen Zeitschriften besprochen zu sehen. Mein Verleger hat auch sowohl an die Zeitschrift || [des] Monistenbundes in Berlin als an den Stuttgarter Kosmos Recensionsexemplare geschickt, ich besorge aber, dass diese Zeitschriften ohne nähere Kenntnis des Inhaltes meines Romans demselben kaum die gewünschte Beachtung widmen dürften. Ich bitte daher um gef. Mitteilung in einigen Worten, ob mein Verleger nicht auch an den Secretär des Monistenbundes – Dr. Heinrich Schmidt – ein Exemplar des Werkes einsenden soll.

Die Niederträchtigkeiten des „Keplerbundes“ würde ich an Ihrer Stelle keines Wortes würdigen. Der Ruhm, der Sie umstrahlt, die Größe des Werkes, das Sie gestaltet und fundamentirt, werden in Jahrhunderte hineinleuchten und erst späteren Geschlechtern ganz klar werden. ||

Wozu der Kampf mit diesem Gesindel? Ich freu’ mich, dass Siea endlich, endlich sich Ruhe gönnen wollen!

Wie schön und fest steht dieses Phyletische Museum da! Ein leuchtendes Symbol Ihres ganzen, ein volles Lebensalter umspannenden Werkes. Ihnen muß ja sein wie einst dem lieben Gott, als er „am siebenten Tage Alles sah und ruhte!“

Unser Freund, Professor Müllner befindet sich jetzt wieder wohl. Im Winter hat mir sein Befinden einige Sorge bereitet. Aber welch’ abscheulicher Winter war || das auch, sechs ganze Monate lang!

Ihre Pläne; zu malen, Reiseskizzen und Memoiren zu schreiben, versprechen Ihnen, zur Freude Ihrer Freunde, ein sonniges Jahr. Fügen Sie – in einer guten Stunde noch einen neuen hinzu; den, Wien zu sehen, wo so Viele leben, die Sie bewundern u. verehren, trotz der vielen Kutten, die leider auch bei uns noch die Sonne verhängen. Freund Müllner || begrüßt Sie in herzlicher Freundschaft, ich bleibe

Ihre

getreu ergebene

M. E. delle Grazie.

a eingef.: Sie

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
27.04.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39
ID
39