Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 28. Mai 1886

VILLA HAECKEL.

Jena

28 Mai

1886

Liebste Mutter!

Gestern ist endlich die große Angelegenheit der Ritter-Stiftung, welche mich seit einem Monat unaufhörlich in Athem erhalten hat, glücklich zum Abschlusse gekommen, und ich will Dir heute gleich davon erzählen. Ich fuhr gestern Morgen (Donnerstag) 9 Uhr nach Weimar wo ich beim Minister mit dem Justizrath v. Harnier, dem Bevollmächtigten des Herrn von Ritter, zusammentraf. Um 1 Uhr war im Ministerium der formale und feierliche Act dera officiellen Übergabe der Stiftungsurkunde. || Excellenz Stichling als erster Staats-Minister praesidirte, während Ministerial-Director Dr. Guyet und der Gerichts-Praesident nebst Secretair die verschiedenen Urkunden (Annahme seitens der Regierungen und der Universität) austauschten und das Protocoll aufnahmen. Der Minister hielt erst eine Dankrede, worauf Herr v. Harnier und ich die Intentionen des Stifters erläuterten.

– Dann zahlte Herr v. Harnier 130 Tausend-Mark-Scheine baar aus, für mich ein sehr ungewohnter Anblick!! Der Minister amüsirte sich sehr, wie genau ich nachzählte und mit welcher Andacht ich den Schatz dann in die Hände des Schatzmeisters legte. Darauf telegraphirten wir Herrn Dr. von Ritter, (den wir zum Ehren Doctor gemacht haben) unseren Dank nach Basel. ||

Ein paar Zwischen-Stunden benutzte ich, um Hr v. Harnier das schöne Museum (mit den Odyssee-Bildern von Preller) und die Bibliothek (mit den Goethe-Reminiscenzen etc) zu zeigen. Um 5½ U. gingen wir zur feierlichen Audienz beim Großherzog, welchen Hr v. Harnier persönlich die Stiftungs-Urkunde überreichte und Hr v. Ritters Absichten aussprach. Der Großherzog antwortete mit einer hübschen Rede, in der er auch meine 25jährigen Verdienste in Jena sehr hervorhob. Ich erwiderte, in dem ich die Geschichte der Entwicklungslehre in Jena seit einem Jahrhundert erläuterte (Goethe, Oken, Huschke, Schleiden, Gegenbaur) und schloß damit, daß die neue „Phylogenie“ (mein Wort, 1866!) ihren 20sten Geburtstag sehr würdig feiere! (mit 300,000 Mk). ||

Um 6 Uhr war große Galla-Tafel. Herr v. Harnier (als Ritters Vertreter) saß neben der Frau Großherzogin, vis à vis dem Großherzog, ich neben letzterem. Auch die Princess Elisabeth (vor 8 Tagen aus Italien gesund zurückgekehrt, mit dem Mecklenburger Prinz Albrecht verlobt) war da, und nahm meine Glückwünsche entgegen. – Um 8 Uhr war die Feierlichkeit zu Ende und ich fuhr nach Jena zurück. Hr v. Harnier nach Frankfurt.

Demnächst wird nun mein I. Assistent, Dr. Arnold Lang, die neue Ritter-Professur (mit 2000 Mk) übernehmen, und der II. Assistent Dr Weissenborn wird Museums-Custos (mit 600 Mk) 1500 Mk jährlich soll Reise Stipendium werden. So ist meine Stellung herrlich!

Hier ist Alles wohl! Hoffentlich auch bei Euch! Mit herzlichsten Grüßen

Dein treuer Ernst

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Brief Metadaten

ID
38953
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
28.05.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38953
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Charlotte; Jena; 28.05.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38953