Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 15. Mai 1886

Jena 15 Mai 1886

Liebste Mutter!

Die ersten 14 Tage des Sommer-Semesters, welche diesmal für mich ungewöhnlich unruhig waren, sind heute glücklich vorüber, und so kann ich Dir denn einiges Nähere über unseren großmüthigen Stifter und das kostbare Legat von Hunderttausend Thaler sagen, wegen dessen ich für unsre Universität in der Osterwoche nach Basel reiste. Herr Paul von Ritter stammt aus Lübeck’scher Familie, ist 1825 in Petersburg geboren und studirte 1844 – 48 Naturwissenschaft, besonders Zoologie. Dann machte er große Reisen und lebte lange Zeit in der Schweiz (Lugano) als Privatmann. 1877 sah ich ihn in München auf der Naturforscher-Versammlung; dann besuchte er mich wiederholt in Jena, zuletzt 82 (als gerade das Institut gebaut wurde). Obgleich er dabei Einiges über seine Stiftungs-Absichten sagte, war ich doch höchlich überrascht, als er gerade jetzt, zur Feier meines 25. jähr. Docenten-Jubilaeums, a mir den (jetzt etwas verbesserten) Stiftungsbrief schrieb, dessen Abschrift ich Dir beifolgend mittheile. ||

Auf Wunsch des Ministeriums in Weimar reiste ich Montag 26. April (am II. Ostertage) von hier nach Frankfurt, um dort mit dem Testaments-Vollstrecker, Justizrath Ed. von Harnier, zu conferiren; auch unseren Universitäts Advocaten, Dr. Hertzog besuchte ich und empfing gute Rathschläge. Dienstag (27.) fuhr ich Mittags nach Heidelberg und wurde von Gegenbaur freundlichst aufgenommen; die Familie fand ich munter. Nachmittags machten wir eine sehr schöne Wagenfahrt (mit Spaziergang) nach Neckar-Steinach Mittwoch Morgen (von 9 – 4 Uhr) fuhr ich direct von Heidelberg nach Basel, wurde von Herrn v. Ritter am Bahnhof empfangen und fürstlich im ersten Gasthofe (Schweizerhof) logirt und bewirthet. Donnerstag Morgen arrangirten wir die Stiftungs-Urkunde, und er erklärte sich bereit, 130,000 schon jetzt zu schenkenb 170,000 MK per Testament zu legiren. Nachmittag machten wir eine sehr anmuthige Excursion per Wagen rhein-aufwärts nach Rheinfelden (Soolbad), auf dem rechten (badischen) Ufer zurück. Freitag Morgen (30. April) fuhr ich von Basel nach Baden (in 4 Stunden), war Mittag und Nachmittag beim Grafen Bose, und fuhr Abends nach Heidelberg. || Samstag 1. Mai von Heidelberg nach Jena (über Würzburg, Schweinfurt, Suhl) in 12 Stunden. Sehr schöne Frühlingsfahrt! In Weimar (wo 1 Stunde Aufenthalt) empfing mich Minister Stichling und Minist. Director Guyet, um Auskunft über meine diplomatische Mission zu erhalten, und waren sehr erfreut über den guten Ausgang. Das hättest Du gewiß nie gedacht, daß Dein Sohn auch als Diplomat (!) Lorbern ernten würde! – Sonntag 2. Mai fuhr ich wieder nach Weimar, um der 1. ordentl. Jahres-Versammlung der Goethe-Gesellschaft beizuwohnen, nebst großem Fest-Diner, wobei der alte Simon, Loeper, Erich Schmidt etc gute Reden hielten. Ich bekomme den naturwissenschaftlichen Nachlaß und den zoologischenc Theil in Goethe’s Biographie zur Bearbeitung (Das freut mich sehr!)d Der alte Simson erinnerte sich meiner noch aus Frankfurt a/O (vor 40 Jahren!)

Montag 3. Mai fingen unsre Vorlesungen an. An diesem Tage (– mein Verlobungs Tag 1858!) vor 2 Jahren wurde das neue Zoologische Institut eingeweiht. Zugleich war es der Tag, an welchem ich vor 25 Jahren (1861) hier meine e Docenten-Laufbahn begann. Irgend ein guter Freund hat das in die Zeitungen gebracht. Ich bekam viele Glückwünsche von auswärts. Die guten Jenenser nahmen aber gar keine Notiz davon, was mir im Grunde auch recht lieb war! ||

Meine Vorlesungen sind im Ganzen gut besucht, wenn auch nicht so glänzend, wie im vorigen Sommer-Semester. Meine praktischen Übungen (mikrosk. Curs.) die ich nun 50 Semester hindurch wiederholt und also etwas satt habe, habe ich zum ersten Male abgegeben, und zwar an den Privatdocenten Dr. Arnold Lang, der jetzt zugleich mein I. Assistent ist. Sobald jetzt die Stiftungs-Urkunde der Ritterstiftung fertig und das Capital in unseren Händen ist (hoffentlich im nächsten Monat), werde ich dann zur Verwendung für das zoologische Institut jährlich 4000 MK Zinsen haben. Davon gründe ich I. eine außerordentl. Professur für Phylogenie (jährlich mit 2000 MK) und gebe sie zunächst Dr. Lang. II. Für Zoologische Reisen (für mich selbst und die Assistenten) verwende ich jährlich 1000 MK. III. Die übrigen 1000 MK werden zu Museums Zwecken und für den II. Assistenten verwendet, der zugleich Custos werden soll.

– Du kannst denken, wie mich meine lieben Collegen hier (meistens!) beneiden! Hingegen freuen sich meine Schüler außerordentlich, und ich habe viele Glückwunsch-Briefe von fern und nah erhalten.

– Unser Frühling ist jetzt herrlich und unser Garten allerliebst. Zu Haus ist Alles wohl. Was macht denn Heinrich? Ich habe noch kein Wort von seiner Reise gehört! Theile diesen Brief auch Tante Bertha mit.

Herzlichste Grüße Dein treuer

Ernst Hkl

a gestr.: uns; b eingef.: zu schenken; c korr. aus: botan.; d eingef.: (Das freut mich sehr!); e gestr.: Zeit

Brief Metadaten

ID
38951
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
15.05.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
22,2 x 28,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38951
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Charlotte; Jena; 15.05.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38951