Jena 7. Juni 1884.
Liebste Mutter!
Heute morgen ist unser alter Freund und Curator Seebeck im 80sten Jahre zur ewigen Ruhe gegangen, nachdem er die Curatel unserer Universität 26 Jahre in der vorzüglichsten Weise verwaltet hatte. Der jetzige Curator, Freiherr v. Türcke, der sie 6 Jahre hatte, ist 3 Tage vorher, am Dienstag gestorben. Beide Männer hatten das gemeinsam daß sie mit voller Hingabe an ihrem Beruf wirkten und ihre Person diesem opferten. || Aber während Seebeck mit allen Gaben des Geistes zu dieser hohen Aufgabe in seltenster Weise ausgestattet war, fehlten diese Gaben dem armen Türcke fast ganz. Der erstere war eben so groß, wie der letztere klein.
– Mir persönlich hat Seebeck immer sehr nahe gestanden und bis zuletzt seine väterliche Zuneigung bewahrt. Ich habe 17 Jahre unter seiner Leitung und wohlwaltenden Führung mein hiesiges Amt verwaltet, und verdanke ihm sehr Viel; ohne ihn wäre ich sicher nicht mehr hier, wo ich doch ganz an meinem Platze bin. ||
II.
Die Pfingstwoche war hier diesmal eine beständige Regen Woche und wir sind nur zu einem Spaziergang (am Montag Nachmittag) gekommen. Walter der recht munter u. vergnügt war, geht Morgen nach Gera zurück. Ich habe tüchtig gearbeitet und bin ein gut Stück vorwärts gekommen. – Wir hoffen sehr, liebste Mutter, daß Du Dich noch entschließest, auf längere Zeit zu uns zu kommen. Es ist jetzt reizend hier, unser emporblühender Garten allerliebst. Ich kann Dich jeden Sonnabend oder Sonntag abholen, und will Alles thun, Dir die Reise so bequem als möglich zu machen.
Mit herzlichsten Grüßen Dein treuer
Ernst