Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel; Jena, 3. Dezember 1880
Jena 3 Decbr 80
Liebste Mutter!
Dein gestriger Brief hat mich sehr erfreut, weil ich daraus ersehe, daß Dir die Berliner Reise gut bekommen ist und viel Freude gemacht hat. Wiederhole sie nur öfter!
Bei uns geht jetzt Alles recht gut. Walter hat sich seit ½ Jahr wunderbar verändert, ist recht frisch und geht mit großer Lust zur Schule, liest auch viel. Es scheint, daß sein jetziger Classen-Lehrer einen sehr guten Einfluß ausübt. Lisbeth ist eigentlich über ihre Jahre hinaus entwickelt, Emma umgekehrt langsam, aber dabei sehr niedlich und naiv. || Agnes ist auch recht frisch und thätig; seit dem Tode der Mutter besucht sie öfter Bekannte, was ihr sehr heilsam ist.
Ich werde in nächster Woche mit dem a zweitenb Bande meines großen Medusen-Werks fertig, eine colossale Arbeit, die mir aber viel Freude gemacht hat. Ich habe das Bewußtsein, für alle Zeiten eine feste Grundlage für die Naturgeschichte der Medusen geliefert zu haben; so daß Jeder, der daran arbeitet, mein Buch benutzen muß. ||
Zu Weihnachten hatte ich eigentlich die Absicht, auf ein paar Tage zu Dir zu kommen. Ich weiß aber nicht, ob es möglich sein wird. Gestern bekam ich einen Brief von dem Director des Challenger-Werks, mit der dringenden Bitte, den ersten Theil meiner Chall. Arbeiten – die Tiefsee-Medusen – möglichst bald abzuliefern. Ich werde also wahrscheinlich die Weihnachts Ferien dazu benutzen müssen. Dann kann ich erst im März zu Dir kommen, hoffe aber dann länger zu bleiben. ||
Wenn ich nicht selbst kommen kann, schreibe ich Dir zu Weihnachten ausführlicher. Bis dahin giebt es noch alle Hände voll zuthun.
Mit der Hypothek macht es nach Eurem eignen Urtheil. Es ist vielleicht besser, sie auf Agnes Namen einzutragen. Carl gieb zu Weihnachten mind. 3 Hundert Mark von mir.
Du mußt die Miethe von mir annehmen! Hörst Du?
Mit innigsten Grüßen
Dein treuer alter
Ernst
a gestr.: ersten; b eingef.: zweiten