Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Haeckel, Hasserode, 22. Juli 1845

Hasserode d. 22/7 1845.

Liebe Eltern!

Sonnabend um 9 Uhr kamen wir glücklich in Magdeburg an. Hier gingena wir erst zu Herr Gude seinem Bruder, der seine Dienstjahre jetzt abmacht. Dann nahmen wir ein kleines Frühstück ein und besuchten den Dom, der sehr prächtig in gothischen Stÿle gebaut. Herr Gude ging, als er das Schiff besehen hatte wieder weg, weil er seinen Bruder in einen Gasthof bestellt, und überdies den Dom schon sehr oft gesehen hatte; ich und H. Böhm aber gingen noch auf die Gallerie, von wo aus man eine wunderschöne Aussicht hat, nur war das Wetter, wie alle Tage jetzt, sehr trübe. || Um 3 Uhr Nachmittags fuhren wir mit der Eisenbahn nach Halberstadt, wo wir bis Oschersleben sehr angenehme Gesellschaft hatten, nehmlich einige Wagen voll – hannöverscher – Torfstreicher. Diese waren nach Stettin gereist und hatten dort nach holländischer Manier Torf gestrichen. Wir fragten sie, ob es die Stettiner ihnen nicht ablernten? worauf einer antwortete: „Wie kann m‘r det lernen, wot m’r nit sieht.“ Es warenb dies die vierschrötigsten, breitschultrigsten und stärcksten Kerle, welche ich je gesehn habe. Von Halberstadt fuhren wir mit der Post nach Wernigerode, und von da zu Fuß nach Hasserode.

Sonntag früh gingen wir auf das Wernigeröder Schloß, von wo aus man || eine ganz hübsche c Aussicht hat. Nachmittag gingen wir nach der steinernen Renne, dem schönsten Waßerfall des Harzes, etwa d 1600 Fuß über dem Merre [!], und von da nach dem Karlshäuschen 1900 Fuß ü. d. M. In der steinernen Renne tranken wir auch Kaffee und waren sehr lustig. – Gestern früh um 9 marschirten wir nach Rübeland 1200‘ und dann in die Baumannshöhle, gegen 500‘ unter der Erde. Herr Gude kaufte mir einige Mineralien. Wir sind wohl gegen 10 Stunden gestern marschirt. Heute wollen wir auf die Plessburg. – Du glaubst gar nicht, lieber Vater! was für schöne Luft hier ist, man wird gar nicht müde, und ich wünsche immer, daß ich hier mit dir spatzieren gehen könnte. – Ich bin gesund und munter. || Ich finde hier recht viele u. schöne Blumen, unter anderem rothen und gelben Fingerhut u. einige Farrnkräuter. Es giebt hier sehr viele, aber nur Tannenwälder. – Hat denn [mein] Bruder geschrieben? Wenn du mir schreibst, so richte es nur so ein, daß der Brief vor Mittwoch ankommt, weil der Briefträger nur Mittwochs hier Briefe abgiebt. Ich habe recht gut gehen gelernt. – Nun grüße alle u. s. w.

Lebe wohl und behalte

lieb deinen Ernst

Herr Gude und Herr Candidat Böhm und H. Cantor und Frau Cantorin Gude und fast alle andern laßen schön grüßen!!!

e Dienstag. d. 22sten

Juli 1845.

a korr. aus: Gingen; b korr. aus: warien; c gestr.: Farbe; d gestr.: 1500; e gestr.: Mi

Brief Metadaten

ID
38733
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Preußische Provinz Sachsen
Datierung
22.07.1845
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38733
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte; Hasserode; 22.07.1845; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38733