Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 20. Dezember 1887
Jena 20. Decb 87.
Liebste Mutter!
Zum Weihnachtsfest sende ich Dir die herzlichsten Grüße, zugleich auch im Namen meiner Frau. Die Gans und die Würste, die ich heute an Dich abgeschickt habe, laßt Euch gut schmecken. Ich habe für Dich noch ein altes Buch beigelegt, das Du vor 20 Jahren mit Interesse lasest, die Welt-Reise der Frau Ida Pfeiffer, die Du einmal bei Tante Weiss gesehen hast. Ein andres kleines Buch, sehr niedlich geschrieben, Briefe einer Rheinländerin aus Indien, werden Dich auch interessiren. ||
Unser Weihnachten wird diesmal stiller als sonst sein, da unser munterstes Wesen, Lisbeth, leider fehlt. Wir haben ihr eine Kiste nach Wiesbaden geschickt. Sie schreibt immer sehr munter und frisch. Walter erwarten wir Freitag. Agnes und Emma sind munter.
– Ich bin froh, daß ich meine Riesen-Arbeit über die Challenger-Radiolarien los bin. Inzwischen habe ich noch eine letzte (kleine) Arbeit für das Challenger-Werk gemacht, welches am 31. März 1888 definitiv geschlossen wird. Sie betrifft die Siphonophoren, die schwimmenden Medusen! || Staatena mit Arbeitsteilung, und muß bis letzten März fertig sein; dazu 50 schöne Tafeln. Einen kürzeren Bericht drüber (System der Siph.), der in diesen Tagen gedruckt wird, schicke ich Dir nächstens. Diese Arbeit hat mich ungemein interessirt, ich bin dabei auf die einfache Lösung sehr schwieriger Fragen gekommen, über die sich viele Naturforscher den Kopf zerbrochen haben. Dabei habe ich auch endlich die schönen Beobachtungen verwerthet, welche ich vor 20 Jahren auf den canarischen Inseln gemacht hatte. Nun ist mit den alten Vorräthen endlich aufgeräumt. ||
– Unser Winter ist bis jetzt [im] Ganzen sehr still verlaufen. Doch haben wir zwei kleinere Gesellschaften gegeben. Nach Neujahr werden wir wohl mehr ausgehen, als bisher der Fall war. Leider wird unser Kreis immer kleiner, da die älteren Collegen meistens fortgehen, und die neuen Jungen uns zu grün sind. Auch den Weggang von Prof. Braun (Heinrich’s Chef) bedauern wir sehr. Er hat Heinrich proponirt, mit nach Marburg zu gehen. Indessen bleibt Heinrich lieber hier, was ich auch richtig finde. Ich hoffe er wird bald mit der Habilitation Arbeit fertig sein. –
Mit besten Wünschen für ein fröhliches Fest und herzliche Grüße (auch an Tante Bertha)
Dein treuer Ernst.
a korr. aus: Stöcke