Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 26. November 1865

Jena 26. XI. 65.

Liebste Eltern!

So eben erhalte ich euren Brief, bei dessen Empfang ich schon etwas sehr Schlimmes ahnte, da ich erst vorgestern die letzte Nachricht von euch hatte, und dessen Inhalt, die Trauerbotschaft von dem plötzlichen Tode unseres lieben Freundes Barth, dann auch diese schreckliche Ahnung richtig bestätigte.

So außerordentlich mich dieser Fall auch wieder aficirt, so bin ich doch jetzt seit fast zwei Jahren zu sehr mit den traurigsten und schwersten Anschauungen des Lebens vertraut geworden, als daß ich nicht meine ganze Fassung behalten sollte. Ich bin durch die schrecklichen tagtäglichen Gemüthskämpfe der letzten Jahre a aus einem weichen, verwöhnten Kinde ein ganzer und eiserner Mann geworden, und so kann mich denn, auch nach dem Aller- Entsetzlichsten, was ich erlebt, Alles Andere und auch das Schlimmste, doch nur in geringen Grade angreifen. Wenn eine Natur wie die meinige, die eigentlich so weich || und für jeden Eindruck so empfänglich ist, ein solches Schicksal durchgemacht hat, wie ich, so ist sie dadurch gegen alle anderen Schicksalsschläge gehärtet.

Im Grunde ist auch das plötzliche Ende unseres lieben Freundes so schön, daß ich ihn darum beneide. Ich selbst wünsche mir lebhaft ein solches Ende, sobald ich die große wissenschaftliche Aufgabe, die noch vor mir liegt, gelöst haben werde. Da die Lichtseiten des Lebens mir unwiederbringlich verloren sind, so hat nur noch die That für mich Werth, zu der ich mich berufen und vorzüglich geeignet finde; und wenn ich diese That gethan, werde ich mit Sehnsucht den Augenblick erwarten, der auch mich, und hoffentlich eben so plötzlich, von dieser traurigen öden Existenz erlösen wird.

Nur die Überzeugung und die volle Klarheit und Gewißheit, daß ich noch eine bestimmte und große wissenschaftliche Aufgabe lösen und dadurch der Menschheit etwas nützen kann, || giebt mir Kraft und Stärke, meine jetzige öde Existenz mit verhältnismäßiger Ruhe und Gleichmuth zu ertragen.

Ich habe noch mehrere Bücher von Barth hier, welche er mir seit längerer Zeit geliehen hat, und die ich, da sie naturwissenschaftlichen (nicht geographischen) Inhalts sind, gern als Andenken an ihn behalten möchte. Sprecht darüber bezüglich event. käuflicher Übernahme mit seinen Erben.

Deine Kiste, liebste Mutter, habe ich richtig erhalten und danke für die Gaben bestens.

Schreibt mir doch bald etwas Nähers, ob Barth vorher leidend gewesen, und woran er eigentlich gestorben ist.

Der Tante Weiss und Barths Geschwistern etc. meinen herzlichsten Gruß und Händedruck

Euer Ernst.

a gestr.: ein;

Brief Metadaten

ID
38564
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
26.11.1865
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38564
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte; Jena; 26.11.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38564