Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 13. Mai 1865

Jena 13. Mai 65.

Liebste Eltern!

Endlich ist mein Schicksal entschieden und officiell bestimmt. Gestern (12. Mai) bekam ich die officielle Berufung als „ordentlicher Professor der Zoologie nach Würzburg“, nachdem ich drei Tage zuvor die officielle Ernennung zum ordentlichen Professor der Zoologie in der hiesigen philosophischen Facultät erhalten und angenommen hatte. Den Würzburger Ruf habe ich sofort ablehnend beantwortet. Außer den euch bekannten wichtigsten Gründen, die mich hierzu bestimmt haben, kommt noch, daß sich in mehrerer Beziehung die Würzburger Verhältnisse noch ungünstiger gestaltet haben, als ich selbst erwartet hatte. Der bisherige ordentliche Professor der Zoologie daselbst, Leiblein, sollte nicht allein neben mir und in seiner Stellung bleiben, sondern auch die Direction des Museums und die Examina behalten, während ich hier in jeder Beziehung frei und unabhängig bin. || Daß mich die ganze Sache in mehr als einer Beziehung tief berührt hat, könnt Ihr denken. Vorwiegend ist a auch hier, wie in Allem, was mich bewegt, das Gefühl der schmerzlichen Entbehrung und des unersetzlichen Verlustes durch den Tod meiner Anna. Die mir erwiesenen Ehren machten mir immer nur dadurch Freude, daß sie Anna so entzückten; wie glückselig würde sie jetzt gewesen sein, wo mir von allen Seiten so zahlreiche und lebhafte Beweise der Verehrung und Hochachtung zu Theil geworden sind! Wie gleichgültig ist mir das Alles für meine Person, und wie werthvoll wäre es mir gewesen durch die Freude, die es ihr gemacht hätte! Das Beste ist und bleibt verloren! Andererseits ist es fast komisch, zu sehen, welcher entsetzliche Respect vor mir in die Jenenser Philister durch diese Metamorphose meiner Person gefahren ist. Alles zieht den Hut 6-8 Zoll tiefer ab und die Universitätsbeamten ebenso wie die echten Jenenser Bürger betrachten mich nun als ein Wesen höherer Art. Denn der ordentliche Professor gilt nun einmal || hier, wo sich Alles um die Universität dreht, als die höchste Staffel, die der Mensch erklimmen kann

„Es ist der Gipfel der Kultur

die ordentliche Professur!“

Wenn mich diese Vorgänge so einerseits schmerzlich, als andererseits komisch berühren, so hat mir dagegen die tiefe innige Freude meines lieben Gegenbaur sehr wohl gethan, und ebenso die herzliche warme Art und Weise, in welcher Seebeck die Sache angesehen und betrieben hat, und der lebhafte Dank, der mir von diesen, wie von andern Seiten gezollt worden ist.

‒ Was die Verbesserung meiner Stellung betrifft, so habe ich zunächst allerdings nur 100 Thaler Zulage erhalten, so daß ich im Ganzen jetzt 600 rl Gehalt beziehe. Dazu kommen aber noch 200 rl jährlich für die Bibliothek des zoologischen Museums, die ich hier gegründet habe und über welche ich ganz frei verfügen kann. Solange ich hier bleibe – und das wird wohl sehr lange sein, vielleicht zeitlebens, – kann ich diese als die Meinige ansehen. Rechne ich dazu noch ca. 200 rl jährlich für Collegiengelder, Examen- Gebühren etc, so beläuft sich die reguläre Einnahme auf 1000 rl. ||

Die 14 ersten Tage des Semesters, die immer recht schwer für mich sind, sind nun glücklich vorüber, und die Collegia wieder in Gang. Ich bin diesmal recht damit zufrieden. Zu dem microscopischen Cursus haben sich diesmal so viel Theilnehmer gemeldet, daß ich ihn doppelt geben muß. So läßt sich denn also der Anfang der ordentlichen Professur recht gut an. Auch in der Embryologie, die ich Morgens von 6-7 Uhr lese, habe ich unerwartet viel Zuhörer. –

Für eure Briefe und die Apfelsinen- Sendung besten Dank. Letztere 30 sind alle wohlbehalten angekommen. Sei so gut liebe Mutter und expedire baldigst, falls sie noch nicht abgeschickt ist, die Bücherkiste; ich brauche sie nothwendig. Hoffentlich geht es mit Deinem Arme, liebe Mutter, besser; das wünsche ich von Herzen. –

Auf euer Herkommen freue ich mich sehr. Ich halte es für besser, daß Du Hulda nicht mitbringst. Bertha meint zwar, es sei ihr Beides recht; Du sollst es so machen, wie es Dir am liebsten sei. Ein Diener für Vater, zum Spazierengehen etc ist leicht zu besorgen. – Bitte diesen Brief auch nach Landsberg zu schicken, und den Tanten und Frau Weiß das Wichtigste mitzutheilen. Diesen allen, den Cousinen usw. freundliche Grüße

euer alter Ernst, jetzt Senator!!

a gestr.: d;

Brief Metadaten

ID
38552
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
13.05.1865
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38552
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte; Jena; 13.05.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38552