Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 17. Januar 1865

Jena 17. 1. 65.

Liebe Eltern!

Eure lieben Briefe habe ich erhalten und freue mich, daß es Dir, lieber Vater, doch fortdauernd leidlich geht. Gehe nur recht fleißig spatzieren; das bleibt eine Hauptsache. Mir geht es jetzt auch wieder besser. Aber die ersten 8 Tage hielt es recht schwer, mich in der leeren Wohnung wieder „in des Daseins traurige Gewohnheit“ zu finden. Jetzt bin ich wieder tüchtig in der Arbeit und die hilft am Besten. Meine mit Medusen- Arbeit habe ich jetzt beendigt und zum guten Schluß derselben noch eine Entdeckung gemacht, von der Gegenbaur meint, daß es das Bedeutendste sei, was ich bis jetzt gefunden. Jedenfalls ist sie principiell sehr wichtig und ich werde eine kurze Notiz darüber nächstens an die Berliner Akademie schicken. Das Medusen- Material woran ich diesen glücklichen Fund gemacht habe, stammt noch von der Frühjahrsreise nach Villafranca. Die Arbeit ist mehr als dreimal so groß geworden, als ich anfangs gedacht habe und wird nun als besondere Broschüre erscheinen, von 6 Kupfertafeln begleitet. ||

Einen äußerlichen Glücksfall habe ich auch diese Woche gehabt, d.h. einen wirklichen Fall, beim Turnen. Da Schleicher krank war, so turnte ich vor und zwar am Pferde. Beim Weitsprung über die Mitte des Pferdes, ohne Gebrauch der Arme, blieb ich auf mir unbegreifliche Weise mit einem Fuße hängen, und stürzte nun kopfüber herunter, so daß meine Mitturner dachten ich hätte das Genick gebrochen, doch hatte ich noch soviel Besinnung, daß ich während des Sturzes rasch die Arme nach unten a ausstreckte, so daß der Hauptstoß diese traf, wobei ich mir die eine Hand tüchtig verstauchte. So bin ich denn mit ein paar Beulen am Kopf, zerschundenem Gesicht und einigen Tagen Rückenschmerzen davon gekommen. Letztere haben sich seit gestern ganz verloren, und die Hand kann ich auch schon wieder gebrauchen. Glücklicherweise lag eine dicke Schicht weicher Bahn unter; sonst wäre es wohl schlimmer abgelaufen. Das einzige Versehen war, daß die beiden Turner, welche eigentlich für solche Fälle aufpassen sollen, dies versäumten, weil sie dachten, ich könnte gar nicht fallen. Gut, daß es so vorbeiging. ||

Meinen hiesigen Freunden geht es jetzt leidlich. Sowohl Hildebrandt, als Bezold haben wieder ausgehen dürfen. Auch Schleicher, der eine Brustentzündung hatte, ist wieder besser. Bei Gegenbaur geht es auch gut. Das Kindchen wird jetzt allerliebst und sieht recht gut aus, trotzdem es noch gar nicht in die Luft gekommen ist. Ich sehe ihn alle Tage und wir sprechen schon viel von unserer gemeinsamen Reise ans Meer, im nächsten Herbst. Seine Gesellschaft ist mir doch unschätzbar. Auch bei Pringsheims bin ich ein paar mal gewesen. Während ihrer Reise nach Berlin und nachher haben sie Gelegenheit gehabt, die Festigkeit der Jenenser Wände zu prüfen, indem sowohl der Kronleuchter von der Decke gestürzt, als ein Prachtziegel b aus der Wand gefallen ist; beides glücklicher weise ohne die Kinder zu beschädigen, die hier waren.

̶ Mein zoologisches Museum hat eine treffliche Bereicherung erfahren, indem ich die lebensgroßen trefflich gelungenen Gypsbüsten des Gorilla, unseres großen afrikanischen Affen- Onkels || angekauft habe. Es ist eine ganze Familie, Herr, Frau und Kind, namentlich letztere beiden sehen durchaus menschlich aus, während der Mann schon mehr Vieh ist (immerhin noch nicht so sehr, wie viele Affen, die als sogenannte Menschen gelten). In Jena istc die Ankunft der Gorilla Familie in Gyps ein Epoche machendes Ereigniß und das zoologische Museum hat daher jetzt vielen Besuch. –

Hoffentlich geht es Tante Bertha wieder besser.

‒ Was den 16. Februar betrifft, so ist derselbe natürlich für mich als Geburtstag ausgestrichen und ich wünsche bestimmt, daß er nie wieder als solcher irgendwie berücksichtigt wird. Ich schreibe euch dies bei Zeiten, damit nicht etwa Du, Liebe Mutter, den Versuch machst mir durch irgend Etwas eine Freude machen zu wollen. Diese giebt es für mich nicht mehr. Am besten wäre es auch, ihr schriebt gar nicht zu diesem entsetzlichen Tage. Ich werde ihn ganz bei Gegenbaur verleben. –

Meine Freunde tragen mir immer herzliche Grüße an euch auf; ich vergesse es in der Regel, sie zu bestellen.

d Schickt diesen Brief auch an Carl. Herzlichen Gruß. Euer Ernst.

a gestr.: austr; b gestr.: un; c korr. aus: hat; d weiter am Rand v. S. 4.

Brief Metadaten

ID
38543
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
17.01.1865
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38543
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte; Jena; 17.01.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38543