Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 1. April 1863

Jena 1. 4. 63.

Liebe Eltern!

Diesen Jenaer Gruß zum Oster-Feste, den Ernst Reimers Braut, Marie Huschke, mit nach Berlin nehmen will, schreibe ich euch bereits aus unserer neuen Wohnung, in welche wir seit gestern vollständig übergesiedelt sind. Der Umzug war diesmal nicht schlimm, und mit wenig Verlust von Zeit und Mühe verbunden, da wir nur eine Treppe hinauf zu ziehen hatten, und da die obere Etage ganz eben so eingerichtet ist, wie die untere, die wir den Winter hindurch bewohnt hatten. Nur sind die Räume ein klein wenig größer, da die Wände a dünner sind. Ferner ist die ganze Einrichtung nicht ganz so elegant und solid, wie unten; auch wird es im Winter etwas kälter sein. Dafür haben wir eine sehr viel schönere Aussicht, eine der schönsten in Jena; nach allen Seiten haben wir die Berge frei vor uns und, im Norden bis nach Dornburg, im Süden Kahla und Leuchtenburg, grade vor uns das Paradies mit der Saale, und den sehr schön geformten nächsten Bergen, Genzig etc. || Es wird euch in unserm Nestchen sehr gefallen und wir freuen uns ungemein auf euren Besuch. Richtet euch nur so ein, daß ihr recht lange bleiben könnt. Die Logirstube ist jetzt sehr bequem eingerichtet und wird euch recht behagen. Wir sind so zufrieden mit der Wohnung, daß wir nur wünschten, sie immer behalten zu können. Die Ruhe und Stille der Oster- Ferien behagt uns sehr. Ich arbeite viel Geologie, über deren paläontologischen (die vorweltlichen Thiere betreffenden) Theil ich auch im nächsten Semester ein Publicum lesen werde. Zum Spazierengehen sind wir in der letzten Zeit gar nicht gekommen da auf den wundervollen Februar und die sehr warme erste März- Hälfte eine sehr unfreundliche und kalte zweite gefolgt ist, mit viel Regen und scharfem Nordost- Wind. Gestern gab es sogar wieder Frost und Reif. Doch ist trotzdem Alles sehr weit vorwärts, die Saatfelder schon ganz grün und die Berge voller Frühlingsblumen. Das allmähliche Erwachen des Frühlings zu beobachten macht uns diesmal besonders viel Freude und wir geben Beide sehr genau darauf Acht. ||

Während des Umzugs erhielten wir euren lieben letzten Brief, auf den wir schon recht sehnlich gewartet hatten. Deine Erkältung, lieber Vater, wird nun hoffentlich ganz wieder vorbei sein. Es war recht gut, daß sie grade zum Veteranen- Feste kam und Dich an der Theilnahme an demselben mit verhinderte. Ich würde auf keinen Fall hingegangen sein. Eine solche Festfeier bei den jetzigen bodenlosen Zuständen ist doch die reine Ironie. Es hat mich ordentlich gefreut, daß die Sache so verunglückt ist, wenngleich freilich der eigentliche Grund sehr traurig ist. Wie ich heute lese, sind jetzt in Preußen sogar die liberal- gemäßigtsten süddeutschen Zeitungen, wie z. B. die in Frankfurt erscheinende Fortsetzung der „Zeit“ verboten worden. Mich soll nur wundern, wie lange die Kreuzzeitungs- Partei ihre Macht noch hält; im Grunde hilft sie doch jeden Tag gründlicher sich selbst ruiniren. Wir haben hier in Weimar dagegen eine höchst liberale und vernünftige Regierung, die namentlich in der Landgemeinden- und Städte- Verwaltung das Self- Government sehr begünstigt. Dabei zahlen die Leute hier weniger Steuern, als in jedem anderen deutschen Staate. Und man kann wirklich in jeder Beziehung sich sehr frei geriren. ||

Dieser Tage erhielt ich aus Messina einen Brief und mehrere Abhandlungen nebst einem größeren Werke über fossile Polythalamien von dem dortigen Professor Giuseppe Seguenza. Eine der zierlichen kalkschaligen Bestien, eine Fissurina, hat er nach mir benannt. –

Meine Freunde sind jetzt meist in den Oster- Ferien verreist, so daß wir sehr still leben und uns unserer Einsamkeit recht nach Herzenslust erfreuen können. Gegenbaur ist auf seiner Hochzeitreise in der Schweiz und Ober- Italien. Bezold ist bei seiner Braut in Leipzig. Gerhard macht eine Reise nach Wien. Auch Hildebrands, mit denen wir sonst viel verkehren, waren b kurze Zeit verreist.

– Da ich vermuthe, daß Hermine mit den Kindern noch bei euch ist, so bitte ich, sie alle recht herzlich zu grüßen, eben so auch Karl. Hoffentlich sind die lieben Leutchen vom halben Dutzend alle wieder ganz munter.

Seid zum Osterfeste recht vergnügt mit einander, und schreibt bald wieder

eurem treuen Ernst.

Tante Weiß, T. Bertha Gertrud etc. grüßt schön. Schreibt doch, ob ihr das Brautpaar aus Potsdam gesehn habt.

a gestr.: der; b gestr.: in der;

Brief Metadaten

ID
38431
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
01.04.1863
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
22,1 x 14,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38431
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte; Jena; 01.04.1863; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38431