Ernst Haeckel an Anna Sethe, Jena, 4. Februar 1862

Jena 4.2.62.

Noch 6 Briefe bekommst Du aus Jena, mein liebster bester Schatz, und dann hat hoffentlich die Correspondenz mit Jena für immer, oder wenigstens für lange Zeit Ruh, und statt der lieben Briefe hast Du dann stets einen Mann bei Dir, ‒ eine schwere, schwere, ernste, ernste Lebensaufgabe, um die ich Dich armes kleines Ding aufrichtig bedauern würde, wenn ichs im Stande wäre! Hoffentlich wird Dir die liebe Verwandtschaft in dieser Zeit noch recht Viel gute Ermahnungen geben und Dich mit Trostworten und guten Rathschlägen auf das schwere Loos, das Deiner harrt, vorbereiten, damit a, wenn in 6 Wochen statt eines Briefes der Erni selbst kömmt, Du ihn mit einem recht ernsten erhabenen Gesicht und einer gefaßten schicksalsergebenen Stimmung empfängst! Bereite Dich nur ja zu dem schweren Schritt, der Deinem Leben eine so ernste Wendung giebt, gehörig vor, liebste Änni und stelle Dirb nur das Leben als Professorin ja recht traurig und öde vor; denn in Wirklichkeit wirds ja nachher noch viel schlimmer! So ein Professor ist eine gar kuriose Pflanze und ich könnte gar nicht mit ihm auskommen! Und Du willst ganz bei ihm bleiben? Du armes Kind! Wie dauerst Du mich!! ||

Nachdem ich solcher Maaßen meinen christlichen Pflichten als zukünftiger Ehemann genügt und Dir einen ernsten Blick in die düstere Zukunft, der Du entgegengehst, eröffnet habe, mein liebster bester Schatz, wirst Du mir wohl erlauben, Dir zu sagen, wie ich leider! leider! von dieser ernsten Besorgniß, die Dich jetzt erfüllen wird, auch nicht die Spur in mir selbst fühle, wie im Gegentheil mein ganzes Herz lacht und jubelt und springt, wenn ich ihm erzähle, daß ich in ein Paar Monaten nicht mehr mein eigener Herr bin, sondern ein gar liebes süßes Ding überall und immer bei mir habe, das mir viel mal so lieb ist, wie mein eigenes Leben!

Welche Veränderung muß das in Allem und Jedem geben! Vielleicht freust Du Dich auch ein bischen auf unsere gemeinsame Zukunft, so aber, wie ich, glaube ich doch nicht; beginnt ja doch für mich ein ganz neues Leben, ein Leben, nach welchem wohl wenige Männer solche Sehnsucht haben, wie grade ich, von dem seine Freunde behaupten, daß er viel zu viel Gefühlsmensch sei, und daß er mehr als recht ist, in Gefühlen lebe und denke! Ein solches Wonnegefühl kennen allerdings wohl wenige, wie ich haben werde, wenn ich Dich erst bei mir haben darf! ||

Mit welcher Spannung ich nun der Entscheidung der nächsten 6 Wochen entgegen sehe, kannst Du denken; je näher der verhängnißvolle Termin rückt, desto mehr freue und sehne ich mich; desto mehr wird mir aber auch bange, daß doch am Ende dies mal wieder ein Querstrich die durch Rechnung gemacht wird. Die Verhältnisse hier bieten so eigenthümliche Schwierigkeiten, daß mir minutenweise die Erfüllung meiner süßesten Hoffnung eine Unmöglichkeit dünkt; dann aber wieder bricht eine solche holde Hoffnungssonne durch den grauen Himmel der trüben Bangigkeit, daß ich vor Wonne laut aufjubeln und daß das ganze reizende Thal von Jena im schönsten Frühlingsschimmer mich anlacht! Es würde mir gar zu schwer werden, sollte ich noch einen Sommer ohne Dich hier zubringen. Wird aber wirklich etwas aus unserer Hoffnung, so will ich wirklich glauben, daß ich ein rechter ganzer Glückspilz und ein rechtes ausgesuchtes Sonntagskind bin, was ich bisher immer nicht habe glauben wollen. Es wäre doch gar zu reizend, wenn wirklich das in Erfüllung ginge, was wir uns vor 4 Jahren als ein kleines Ideal hinstellten, in dem wir alle unsere Wünsche zusammenfaßten. Nun, in 8 Wochen wissen wirs gewiß! ||

Vorgestern, Sonntag, habe ich mich einmal ordentlich ins Freie gemacht, um Luft zu schnappen, und habe mit Gegenbaur und Gerhardt einen herrlichen vierstündigen Spaziergang durch den Forst gemacht, wo ich allen Bäumen und Felsen und allen Gräsern und Moosen erzählt habe, was für ein reizendes kleines Frauchen ich ihnen im Frühjahr zuführen würde. Du glaubst nicht, wie lustig sie mich ansahen, und vor Freude sah ich schon in Gedanken Alles rings herum grün und neben mir meinen herzensallerliebsten Schatz! Den Rückweg machten wir durch einen neuen reizenden Waldgrund, den ich noch gar nicht kannte, ein Nebenthal des lieblichen Ammerbacher (Amor! bacher) Grundes, der mich ganz in das Hochgebirge versetzte. ‒ Vorigen Sonnabend war ich auch einmal Abends aus, da wir im Bären das Stiftungs-fest der physikalisch-medicinischen Gesellschaft feierten. Dann machte ich Sonnabend einen Besuch bei Seebecks, wo ich die verwittwete Seebeck aus Dresden, eine sehr angenehme Frau, traf, und mich mit Frl. Julie trefflich unterhielt, natürlich nur über Hochzeit etc. Sie läßt Dich herzlichst grüßen und um baldige gute Nachfolge nach ihrem trefflichen Beispiel bitten.

Inliegenden Brief besorge baldigst an Georg Reimer.

c Viele Grüße an Mutter etc und einen innigen Kuß von Deinem lieben treuen Erni.

a gestr.: Du; b eingef.: Dir; c weiter Rand v. S. 4: Viele Grüße an…lieben treuen Erni.

Brief Metadaten

ID
38400
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
Datierung
04.02.1862
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38400
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sethe, Anna; Jena; 04.02.1862; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38400