Ernst Haeckel an Anna Sethe, Jena, 28. Januar 1862

Jena 28.1.62.

Diesmal kam Dein lieber, herziger Brief recht zur Sonntagsfreude, mein liebster, bester Schatz! Den ganzen Sonntag Morgen, wo ich Tafeln colorirte, hatte ich vergeblich darauf gehofft und schließlich fast verzichtet. Da erschien der ersehnte noch spät am Sonntag Mittag und erfreute mich nun doppelt durch die guten Nachrichten, welche er mir erst spät von meinem süßen Liebchen brachte. Wie freue ich mich, daß Du wieder so munter bist und die frische, bessere Luft im Thiergarten genießen kannst! Nun nimm Dich aber auch wirklich einmal ernstlich in Acht, mein kleiner Strick, und denke wie weh Du Deinem Erni thust, wenn Du wieder krank wirst! Halt namentlich Dein kleines Köpfchen und die lieben Füßchen warm ‒ beim Herzen hast Dus nicht so nöthig, das bleibt schon so warm, gelt? Das sag ich Dir, zum März muß ich ein ganz munteres kleines Prachtmädel mit rothen Backchen haben, sonst wird aus dem Heirathen Nichts! Heirathen!! Wie klingt das in den Ohren, liebster Schatz! Je näher der verhängnißvolle Moment rückt, mit desto größerer Spannung richten sich alle erregten Gedanken und Nerven allein auf dieses Ereigniß, obwohl nicht ohne eine gewisse Bange, daß auch dies mal was dazwischen kommen könnte. ||

In den nächsten Wochen werde ich nun das Buch, soweit es fertig ist, an unsere 4 Schicksalsgötter abliefern! Wie gespannt ich auf den Erfolg bin, brauche ich Dir nicht erst zu sagen! Ach könnte ich doch den Telegraphen recht bald mit den 3 glücklichen Worten ‒ am 18. März! ‒ in Thätigkeit setzen!

Schon jetzt beschäftigt mich die sehnsuchtsvolle Erwartung dieses Momentes so sehr, daß das Herz mächtig zu klopfen anfängt und der Puls schon für gewöhnlich einen rascheren Gang angenommen hat.

Einliegenden Brief, der Georg Reimer um das Nöthigste bitten soll, bitte ich Dich, ihm entweder selbst oder durch Vater (dann aber versiegelt!) zu bringen und nur an ihn selbst abzuliefern, damit nicht etwa die Frau oder sonst jemand das Geheimniß erfährt. Auch mit den Alten sprich nicht davon. Bis jetzt wissen außer mir nur 3 Seelen um die ganze Sache ‒ Gegenbaur, Du und Georg Reimer. Bitte ihn zugleich, die Setzer etwas zu treiben. Ich habe wieder seit 9 Tagen keinen Bogen. Auch Wagenschieber hat noch Nichts geschickt; der faule Strick! ‒ ||

In der letzten Woche habe ich fast nur das fertige Manuscript durchgesehen, so daß jetzt ¾ von dem speciellen Theil ganz druckfertig sind. Das letzte Viertel werde ich hoffentlich auch bald fertig haben; doch wird michs wohl den Rest vom Semester kosten. Ich bin mit der Arbeit sonst wieder gut im Zuge, seitdem ich die gar zu übermächtigen Änni-Gedanken nach Deinem vortrefflichen Rathe in die Mausefalle gesperrt habe und nur Nachts herauslasse, wo sie dann im Bett um so lieblicher mit mir spielen! Wie nett dieses Gedanken-Baccio (wollte sagen Boccia!) Spiel ist, kannst Du gar nicht glauben. Was hast Du aber für eine Masse kleine Bacciolo-Strickchen in den Fußsack gesteckt; trotzdem ich täglich so viele wegfange, kommen immer wieder neue, und immer liebere, herausgekrabbelt. Hunderte von den reizenden kleinen geflügelten Kindern habe ich schon in die prächtigen Luftschlösser geschickt, die ich auf allen Bergen rings um Jena für nächsten Sommer schon gebaut habe! Du glaubst nicht, wie reizend die sind; aus jedem Luftschlosse guckt ein gar zu liebes kleines Mädchen mit einem reizenden rothen Munde, blonden Haaren und gar lieben blauen Augen heraus und winkt mir, ich solle doch fix mit ihr in die von Epheu und Geisblatt umrankte Laube kommen! Ob ichs wohl thue? ||

Besonders viel geht mir auch das Quartier im Kopf herum, mit dessen Vertheilung ich noch gar nicht im Klaren bin. Es wäre doch gar zu reizend, wenn wir hier draußen wohnen bleiben könnten!

Die Theilung in 2 verschiedene Stockwerke scheint mir übrigens ganz vortrefflich; das ist ein Ideal, das die praktischen und doch so familieliebenden Engländer in der Regel verwirklicht haben! Wie Bezold mir erzählt, wohnt dort gewöhnlich die Familie im ersten, der Hausherr im dritten Stock!

Natürlich darf die Hausfrau nur ausnahmsweise den gestrengen Gebieter besuchen! Eine ganz vortreffliche Einrichtung, besonders für ein Professoren-Päärchen, wo ohnehin der arme Professor seine liebe Noth haben wird, das kleine übermüthige Strick im untern Stock im Zaume zu halten! In der Regel würden der gnädige Herr Professor doch nur geruhen, beia den verschiedenen Mahlzeiten seine Frau Gemahlin mit deren Anwesenheit zu beglücken!

Doch das wird sich schon machen, wenn nur erst die Hauptsache da ist! ‒ Das Blatt ist zu Ende, liebster Schatz und Dein würdiger Professor wandert nach diesem Erholungsstückchen wieder zu seinen Radiolarien. Laß Dich auf innigste von ihm herzen und küssen! ‒

a gestr.: zu; eingef.: bei

Brief Metadaten

ID
38399
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
Datierung
28.01.1862
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38399
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sethe, Anna; Jena; 28.01.1862; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38399