Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 24. März 1860

Messina 24.3.60.

Das also wäre wirklich der letzte Gruß aus dem schönen Messina, mein lieber, bester Schatz! Ein Gedanke, den so viele u so widerstrebende Gefühle in mir wach ruft, daß ich viele Bogen beschreiben müßte, wollte ich sie alle auseinandersetzen. Alle anderen Gedanken und Strebungen werden freilich von einem einzigen weit übertroffen, ja ganz in den Hintergrund gedrängt, und das ist der eine selige Gedanke des glücklichsten Wiedersehens, so erhaben und reich, so beglückend u innig, daß ich Nichts von allen bisherigen Erlebnissen dem einen an die Seite zu setzen wage. Ja ich kann diesen glückseligen Gedanken, mein Liebstes, Bestes auf der Welt bald wieder zu besitzen, in der beseeligenden Nähe meiner süßen Braut Ruhe und Frieden zu finden, dem heißesten Sehnsuchtswunsch langer, langer 5/4 Jahre erfüllt zu sehen, ich kann diesen glückseligen Gedanken, der mich Tag und Nacht beständig beschäftigt, nicht ausdenken, ohne daß alle meine Sinne in einen süßen Taumel gerathen und die übervolle Brust in ein lautes Jauchzen ausbricht, welches der ganzen Natur meine Glückseligkeit des seligsten Wiedersehens mittheilen soll.

Schatzchen, wie werden wir nur das übergroßen Glück des seligsten Wiedersehens ertragen können. Ich stelle mir immer vor, daß mir alle Worte fehlen werden, um die Überfülle innigster Gefühle auszusprechen. Ein einziger seliger Kuß wird da die beste Sprache sein! Heut über 5 Wochen ist vielleicht dieser glücklichste Moment schon da, oder wenigstens sehr nahe, wenn Du diesen Brief erhältst, sind es kaum noch 4 Wochen. Wie wird uns nur sein, wenn wir erst wieder zusammen allein in unserm kleinen Tempel sitzen und Herz an Herz, Lippe an Lippe die schönsten, so lang entbehrten Gefühle austauschen, wenn wir Brust an Brust und Seele in Seele dringen können. Liebchen, ich kann kaum die Seligkeit fassen, die in dieser Vorstellung liegt, und die alle bisher gekannten Gefühle an Innigkeit, Wärme, Tiefe weit übertrifft! – Wirst Du mich aber auch noch haben wollen?! ||

Nächstdem freue ich mich natürlich auch sehr, die beiden lieben, trefflichen Alten wiederzusehen, die lieben Freunde Verwandten die mich auch in der weiten Ferne theilnahmsvoll begleitet haben. Besonders freue ich mich, daß ich die liebe Mutter wieder besser treffe und der gute Vater ist gewiß noch so rüstig wie früher. Was mich selbst betrifft, so hoffe ich, werdet ihr mit meiner verbesserten Auflage zufrieden sein und vielleicht Allmers beistimmen, der mir neulich als Antwort auf meinen letzten Brief schrieb: „Wie hat mich Dein Brief durch seinen frischen, vertrauensvollen Ton erfreut; war doch auch nicht eine Spur von all dem kleinmüthigen Zagen und Klagen darin, das ich noch in Neapel u. Capri oft genießen mußte!“ Das ist in der That eine der besten Errungenschaften, die ich aus Italien mitbringe, neue Lust und Liebe zu einem frischen neuen Leben, von dessen grünen Baum ich die goldnen Äpfel jetzt erkennen und pflücken gelernt habe. Wiea anders schaue ich jetzt, meine Änni an der Seite, in die Zukunft hinein, wo ich Wille und Kraft habe, allem Guten und Schönen mächtig nachzustreben! Wenn mir so nun die Wiedersehenshoffnung die süßesten reichsten Bilder vorspiegelt, so kann ich doch nicht leugnen, daß ich anderntheils doch auch ungern, von dem herrlichen Messina scheide, vor allem von meiner Arbeit, der ich gar zu gern ein paar Wochen mehr gewidmet hätte, da sie mir nie mit dieser Gunst des Glückes wiederkehren wird. Ja, bis gestern war ich immer noch schwankend, ob ich lieber doch am Ende Paris aufgeben und dafür 3 Wochen mehr den Radiolarien schenken sollte. Doch haben mich meine Freunde alle so zu Paris gedrängt, daß ich mich gestern doch entschließen mußte, wiewohl mit schwerem Herzen, die weitere Verfolgung der Entdeckungen aufzugeben und die schöne reizende Arbeit nun halb vollendet liegen zu lassen, was mich gewiß später noch viel mehr reuen wird, als es jetzt schon thut. Auch den Frühling hätte ich gar gern noch auf Sicilien gesehen, der seit einigen Tagen in vollster Pracht überall eingezogen ist. ||

Die verflossene letzte Woche war noch viel unruhiger und ungemütlicher als die vorletzte, in welcher ich alle Sammlungen von Tieren auspacken, ordnen, bestimmen und wieder hatte einpacken müssen. Dagegen kam nun in dieser Woche das Verpacken all der einzelnen Gläser (gegen 200) in die Kisten, das Packen der andern Kisten mit trocknen Präparaten und mit den ganzen Schätzen der italischen Reise, und endlich das Fortschaffen all dieser Sachen. Das kostet hier, wo alles nur sehr schwierig und um so mehr Geld als bei uns zu haben ist, viel mehr Zeit, Mühe [und] Geld, als man sich bei uns träumen läßt, und Ärger habe ich dabei fast mehr als auf der ganzen Reise durch Sizilien gehabt. Dazu kam noch der schlimme Umstand, daß das alles auf meiner Stube geschehen mußte, in der ich auch schlafen mußte. Die anatomischen Präparate, die ich für Bonn, Jena und Helsingfors gesammelt hatte, hatten aber, mehrere Tage frei daliegend, die Luft so verpestet, daß sowohl Dr. v. Bartels und Ehlers, die mir dabei geholfen hatten, als ich selbst sehr unwohl wurden und heftiges Kopfweh, große Mattigkeit und leichtes Fieber bekamen. Ehlers liegt noch zu Bett. Dr. v. Bartels und ich haben uns vorgestern nach Fortschaffung all des Zeuges durch eine strapaziöse Fußtour in die Berge wieder ganz munter gemacht. Meine Stube sah diese 12 Tage hindurch wie das leibhaftige Chaos aus, und ich atmete nicht eher wieder frei auf, als bis endlich alles fort war. In welchem Umfange ich gesammelt und demgemäß auch zu packen hatte, könnt Ihr daraus entnehmen, daß ich, obwohl ich unter beständiger, sehr brauchbarer Hilfe des guten Dr. v. Bartels diese ganzen 12 Tage vom Morgen bis zum Abend packte, doch erst vorgestern ganz fertig wurde. Zuletzt hatte ich nicht weniger als 12 volle Kisten beisammen; davon gehen zwei an das anatomische Bonner Museum, eine an das Jenenser, einen an das Berliner zoologische Museum, drei an Allmers (eine mit Wein, eine mit Mineralien, eine mit Kunstsachen), fünf an mich selbst, davon zwei allein ganz mit Gläsern gefüllt. ||

Das Schiff, das die Sachen mitnehmen sollte, sollte eigentlich schon vor 8 Tagen abgehen, erhielt aber glücklicherweise noch mehrere Contre-ordre, vom Hamburger Rheeder und Befehl, noch eine Ladung Früchte mitzubringen. Ehe diese kamen und geladen wurden, vergingen noch volle 8 Tage, welche wir sehr fleißig benutzten, um alles fertig zu machen, so daß ich nun glücklich alle 12 Kisten los bin. Zugleich erhielt ich dadurch Gelegenheit, den Capitain, Hrn. Schirmhoff aus Flensburg kennen zu lernen, einen sehr freundlichen, zuverlässigen Mann, in dessen Kajüte ich vorgestern mit noch einigen andern Flensburgern und Norweger Kapitänen bei einem Glase Madeira einige sehr vergnügte Stunden zugebracht.

Besonders interessant waren mir die ausführlichen Mittheilungen eines Capitain Laassen über Island und Norwegen, welcher dort mehrere Jahre gewesen war. Das Schiffchen, das meine reichen Schätze wegfährt, ist ein sehr kleiner Schoner, aber fest und gut gebaut, neu, und heißt „Rickleff“. Herr Peters hat mir sehr freundlich die Versendung besorgt. Die bedeutenden Kosten werde ich zum großen Theil durch die genannten Museen wieder ersetzt bekommen.

Gestern früh ist der Rickleff abgesegelt und wird bei gutem Wetter in etwa 40 Tagen nach Hamburg kommen, so daß ich hoffen kann, die Sachen gegen Mitte Mai zu erhalten. Das soll eine Freude werden, die Sachen alle auszupacken! Nun noch einen letzten Abschiedsgruß aus dem schönen Sicilien euch, liebe Allen, und Dir bestem Herzensschatz. Dir, lieber Vater, herzlichsten Dank, daß Du mir 14 Tage in Paris erlaubt hast. Etwa Charfreitag denke ich in Paris einzutreffen, von wo ihr zu Ostern den nächsten Brief erhaltet. Ängstigt euch aber nicht, wenn er sich etwas verspätet. Adressirt den nächsten Brief: Msr E. Roques & Co. Paris. Auf die Seefahrt freue ich mich sehr und wünsche mir tüchtigen Sturm. ||

Inliegenden Brief an Gegenbaur steckt in ein Freicouvert: Hrn. Prof. Gegenbaur zu Jena.b

a gestr.: Ich, eingef.: Wie; b Text weiter am linken Tand von Seite 4, um 90° gedreht: Inliegenden … zu Jena.

Brief Metadaten

ID
38291
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich beider Sizilien
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
24.03.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
3
Format
13,9 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38291
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sethe, Anna; Messina; 24.03.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38291