Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 25. Februar 1860

Messina 25.2.60.

Herzlichen Dank, mein liebster Schatz, für den lieben, letzten Brief, welcher mich sehr erfreut hat durch die Nachricht, daß sowohl Du, als die liebe Alte wieder ganz munter ist. Fahrt nur Beide so fort, damit ihr in unveränderter Frische in 2 Monaten euren Ernst wieder in eure Arme schließen könnt. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie mir bei diesem Gedanken wird! Liebchen, ich glaube, es kann keinen seeligeren Augenblick geben! – Ihr werdet den letzten Brief wohl wieder sehr spät erhalten haben, da ein heftiger Sturm den Messageriedampfer (noch dazu den allergrößten derselben, l’Indus), nach Alexandrien verschlagen hatte, so daß er erst am Mittwoch (statt Sonntag) hier eintraf. Dieser Sturm hat auch hier wieder viele Schiffe ruinirt. Die Stettiner „Agnes“ wurde von beiden Ankern abgerissen und nach Reggio hinübergetrieben, wo sie beinahe gescheitert wäre. Die ganze Ladung (Ölfässer) ist los gegangen, und das Öl mußte aus dem untern Schiffsraum ausgepumpt werden. Eine neapolitanische Fregatte, die 400 Rekruten transportirte, ist mit Mann und Maus untergegangen. – Auch der Carneval der sonst hier ziemlich bunt gefeiert wird, war dies Jahr kaum merkbar; nur die zahlreichen Bälle und Gesellschaften erinnerten daran. Leider war ich auch gezwungen, auf 3 derselben hinzugehen, da die betreffenden Herrn (Hr. Jaeger, Gonzenbach, Peters) persönlich kamen um mich einzuladen. Überhaupt werden wir Naturforscher hier mit einem ganz fabelhaften Respect behandelt. Wir könnten froh sein, wenn wir in Deutschland nur den 10ten Theil davon genössen. Wenn wir Lust und Talent dazu hätten, könnten wir in den Gesellschaften die erste Rolle spielen, wie es auch unser Vorgänger vorm Jahr, Prof. Carus, gethan hat, der freilich mehr Zeit auf diese geselligen Vergnügen, als auf die Arbeit verwandt hat. ||

Das Tanzvergnügen war natürlich auf allen 3 Bällen nicht für mich vorhanden. Doch existirt hier glücklicherweise eine sehr vernünftige Einrichtung, durch welche die Nichttanzenden und nicht an den Spieltischen beschäftigten unterhalten werden. In einem kleinen Nebenzimmer ist nämlich ein Büchertisch aufgestellt, wo man sich nach Belieben in schönen Kupferstichen, Albums und schöner Literatur vergnügen kann. Da habe ich dann diese 3 Abende prächtig benutzen können, um alte liebe Reminiscenzen wieder aufzufrischen. Das einemal blätterte ich Uhlands Gedichte durch, das anderemal Heines Buch des Lieder, das drittemal das Richter Album, das mich durch seine naive Natürlichkeit und deutsche Treue wieder lebhaft erwärmte und entzückte. Meinen lieben herrlichen Uhland las ich fast mit mehr inniger Freude und tiefem Verständniß als je zuvor. Dagegen kam mir der Ton in Heines Buch des Lieder, der mir eine Zeit lang so aus der Seele gesprochen schien, jetzt entschieden fremd und kalt vor. Dieser Weltschmerz paßt nicht zu der innig glücklichen und fast bis zu einer Harmonie (wenigstens momentan) befriedigten Stimmung, in der ich mein vieles reiches Glück jetzt fast immer erhält, das herrliche Gelingen der schönen Reiseunternehmung und die unaussprechliche Wonne im Gedanken an das seelige Wiedersehen. –

Am 17ten Februar war Frau Sarauws’ Geburtstag, welcher bei Peters durch eine sehr gelungene komische dramatische Vorstellung „Ein Stündchen in der Schule“ gefeiert wurde, wobei der Dr. von Bartels die Hauptrolle, den Schulmeister, ganz vortrefflich spielte. Vorher wurde von sämmtlichen deutschen Kindern Rombergs Kindersymphonie, mit vielen verschiedenen Vogelstimmen, aufgeführt, die ganz vortrefflich klang. Auch bei dem Schweizer Consul Gonzenbach (Klostermanns Schwiegervater) war eines Abends eine rechte gelungene Aufführung von „Englisch“ und dann Körners „Nachtwächter“, beide höchst komisch.

Der Raum ist schon wieder zu Ende, liebster Schatz. Innigsten Gruß und Kuß von Deinem treuen Erni.a

Inliegende Zeilen an Max Schultze magst Du wohl in einen Brief an Bleeks mit einlegen.b

a Text weiter am linken Rand von Seite 2, um 90° gedreht: Der Raum … Erni.; b Text weiter am linken Rand von Seite 1, um 90° gedreht: Inliegende … einlegen.

Brief Metadaten

ID
38289
Gattung
Brief mit Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich beider Sizilien
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
25.02.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38289
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Sethe, Anna; Messina; 25.02.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38289