Jena, 20.12.1897.
Liebste Tante Bertha!
Seit unserer schmerzlichen Trennung, am Grabe unseres lieben Carl, habe ich Deiner oft und viel gedacht. Mit dem Tode dieses prächtigen, gemüthvollen und kreuzbraven Menschen ist wieder eine große und unersetzliche Lücke in dem Kreise unserer nächsten Lieben gerissen, der immer kleiner und enger wird. Wieviel Trauriges habe ich schon in den paar Monaten verlebt, die seit meiner Rückkehr aus Russland verflossen sind! ||
Wir werden Weihnachten auch wohl sehr still feiern! Agnes bekam vor 3 Wochen einen neuen Anfall ihrer beängstigenden Herzschwäche und ist erst seit vorgestern wieder aufgestanden. Walter ist bereits hier. Wenn möglich, denken wir 26. – 30. December bei unseren Kindern in Leipzig zuzubringen; ich fürchte aber, daß aus der projectirten Reise Nichts werden wird. Auf geselligen Verkehr werden wir diesen Winter wohl auch wieder, – wie seit 2 Jahren, verzichten müssen. ||
Beifolgend schicke ich Dir einige Bücher, deren Lectüre Dich hoffentlich interessiren wird. Der Roman von Gabriele Reuter: „Aus guter Familie“ – in dem auf S. 294 – auch meine „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ eine kleine Rolle spielt –) ist sehr lebenswahr, leider!
– Der vermißte Brief von Carl an Pastor Gottwald Caro in Chemnitz, von dem Georg mir schrieb, ist bereits zurückgesandt.
– Die „Reisebilder aus Madagascar“ hat ein früherer Schüler von mir, Prof. Keller in Zürich, geschrieben. ||
Das reizende Album: „Jena in Wort und Bild“ hatte ich Dir schon vorige Weihnachten geschickt. Du kannst diese neue (sehr vermehrte) Auflage, – falls Du sie nicht selbst behalten willst, – an Georg schicken. –
Wie ich zu Weihnachten bei Dir in Gedanken sein werde, – Du alte treue liebe Tante! – so wünsche ich Dir auch von Herzen für das kommende Jahr alles Gute!; vor allem die Erhaltung Deiner wundervollen Geistesfrische!
Immer Dein treuer alter Neffe
Ernst Haeckel.
Beste Grüße an alle Lieben!
Das hübsche Photogramm meiner kleinen Enkelin Else ist sehr ähnlich!