Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Oran, 12. März 1890

Oran 12. März 1890

Lieber Bruder!

Für Deinen lieben, gestern hier erhaltenen Brief vom 4. März auch Deine Postkarte besten Dank. Ich habe mich über die heimatlichen, im Ganzen guten Nachrichten (wie auch aus Jena) sehr gefreut, wie ich andererseits auch an Deinen mancherlei Sorgen von Herzen brüderlichen Antheil nehme. Aber Wer bliebe von Sorgen und Nöthen verschont? Man muß froh sein, wenn man sich so leidlich durch’s Leben durchdrückt!

– Ich bin heute schon volle 4 Wochen unterwegs. Die 14 Tage in Algier waren recht interessant, u. durch die liebenswürdige Aufnahme im Nachbarhause des deutschen Consuls Galli (wo ich fast täglich war) sehr angenehm. Auch die französ. Collegen nahmen mich freundlich auf. ||

– Algier liegt sehr schön am Abhang eines grünen Bergrückens (Sahel), der sich zwischen Meer und Metidja Ebene hinzieht, im Hintergrund der schneebedeckte Atlas. Hunderte von weißen Villen u. Häuschen, in den meilenlangen Gärten des Sahel-Abhangs zerstreut, geben einen sehr lieblichen Anblick. Die schönen Gärten prangen im schönsten Frühlingsschmuck; doch blieb das schöne Wetter ziemlich kühl (Morgens 5, Mittags 12° draußen, im Zimmer 8 – 10° (und keine Heizung!). Für Brustkranke kommt mir das berühmte Klima bedenklich vor! ||

– Einige größere Excursionen habe ich mit Baron Julius von Soden gemacht, dem Gouverneur v. Kamerun, ein höchst liebenswürdiger Süddeutscher (aus Vorra, Baireuth). Er kehrt aus Kamerun auf Urlaub (vielleicht für immer) nach Deutschland zurück. – Mit dem Consulats-Secretär Wagener (geb. in Potsdam, Sohn von † Zeit. W.) – übrigens ganz nett u. vernünftig – trank ich tägl. früh den Caffee.

– Der Character von Algier ist sehr ähnlich Marseille, das arab. Element tritt zurück. –

Samstag 8. März fuhr ich per Bahn hierher nach Oran, wo ich mindestens 2, vielleicht 3 – 4 Wochen arbeiten will. ||

Nach langem Suchen fand ich hier ein gutes Zimmer im Hôtel de la paix. Morgen beginnt meine Fischerei. Mehrere angenehme französ. Bekanntschaften habe ich bereits gemacht (1 Ingenieur Bonty, 1 Redacteur Waille, 1 Advocat und zoolog. Amateur, Moisson).

– Diese Woche habe ich noch einen angenehmen Zimmer Nachbar, Dr. Schauenburg aus Lahr (Sohn vom „Hinkendem Boten“), der seiner Gesundheit halber in Algier war. Oran ist sehr bunt bevölkert, unter 60,000 Bewohner, 20 M. Spanier, 12 M. Franzosen 3 M. Neger, viele Araber und Europäer.

Mit herzlichem Gruß an alle Lieben

Dein tr. Br. Ernst

Brief Metadaten

ID
38046
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Algerien
Entstehungsland zeitgenössisch
Frankreich
Datierung
12.03.1890
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38046
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Karl; Oran; 12.03.1890; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38046