Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 17./18. Februar 1854

Würzburg am 17ten Februar 1854.

Meine lieben, lieben Eltern!

Es ist dies der erste Brief, den Ihr von eurem zwanzigjährigen Jungen, nunmehr also Jüngling, bekommt. Wenn ihr es auch diesen Zeilen nicht gleich ansehen solltet, daß sie mit dem gesetzten Verstande und der weisen Mäßigung eines Menschen, der bereits 20 Lebensjahre hinter sich hat, geschrieben sind, so müßt ihr einstweilen den guten Willen für die That nehmen. Denn der Übergang vom Unverstand zum Verstand, von der Thorheit zur Weisheit, und vom Kinde zum Manne, macht sich in der That nicht so plötzlich und rasch, wie man dies wohl wünschen möchte und sich vorsetzt. Daß aber der ernsteste und festeste Vorsatz, der beste und aufrichtigste Wille dazu bei mir vorhanden ist, daß ich jetzt ernstlich mit allen Kräften danach streben werde, ein recht tüchtiger, braver Mann zu werden, mir die Energie und Selbständigkeit, die Beharrlichkeit und Zuversicht, die dazu nöthig ist, zu erwerben, davon könnt ihr vollkommen überzeugt sein und ihr werdet euch in eurem alten Jungen nicht getäuscht finden. Es sind in der That noch viele und große Fehler, die ich an mir zu verbessern habe. Dahin rechne ich vor allen meine schwankende Unentschlossenheit und Unselbstständigkeit, die mich nie zu einem selbstständigen freien und festen Entschluß kommen läßt, dann der hoffnungs- und zuversichts-lose Blick in die Zukunft, der immer den schlimmsten und traurigsten Ausgang von jedem Unternehmen kommen sieht und die Thatkraft lähmt, indem er alles Selbstvertrauen raubt. Mein schlimmster Fehler ist aber vielleicht eine eigenthümliche Art von Egoismus, der sich z. B. im Umgange mit andern Menschen, d. h. in meiner unüberwindlichen Menschenscheu zeigt und auch wohl Ursache ist, daß ich bis jetzt immer vergeblich nach einem rechten Freunde mich umgesehen habe. Ihr seht hieraus wenigstens, liebe Eltern, daß ich meine schwachen Seiten recht wohl kenne und fühle; wie sollte ich dies auch nicht, da euer treuer Elternsinn, eure liebevolle Mühe, mich zu einem bessern und vollkommneren Menschen herauszubilden, wofür ich euch nie genug dankbar sein kann, mich stets auf diese Fehler aufmerksam macht, wie es auch die Bemerkungen meiner nähern Bekannten oft genug thun. Ein Anderes ist es freilich, seine Fehler zu erkennen, ein Anderes, sie wirklich zu bessern. || Mit Gottes gnädiger Hülfe, denke ich, wird aber auch die wirkliche Besserung und Vervollkommnung der wahren Erkenntniß nachfolgen, und ich hoffe fest zu Gott, daß es mir unter seinem kräftigen Beistand gelingen wird, diese Schwachheiten immer mehr zu überwinden, endlich doch noch ein guter und tüchtiger Mann zu werden, und euch, meine innigst geliebten Eltern, noch recht viele und große Freude zu machen, wozu er seinen Segen gebe! –

– Eure liebevollen Briefe und Geschenke erhielt ich vorgestern früh und habe mich recht innig darüber gefreut. Wie bin ich doch vor so vielen andern Menschen mit so guten, treuen Eltern beglückt und welche hohen, reinen Genüsse sind mir in dem geistigen Umgang mit ihnen vergönnt, deren wohl die meisten andern, leider, entbehren müssen. Wie wenige von allen Altersgenossen, die ich hier kennen gelernt habe, haben das Glück, in einer ununterbrochenen geistigen Gemeinschaft mit dem Elternhaus zu stehen und ganz mit ihm verwachsen zu sein, wie ich dessena stolz mich freuen kann. Was entbehren diese Armen nicht! Gewiß, liebe Eltern, dies sehe ich unbedingt als das höchste, und nicht allein irdische, sondern auch ewige Gut, das mir Gott geschenkt hat, an, daß ich so unzertrennbar fest und innig mit euch verwachsenb bin, und mir eine freie geistige Mittheilung und Hingabe ohne euch gar nicht denken kann. Da habe ich wohl täglich tausendmal Ursache, Gott inbrünstig für dies Glück des Familienlebens zu danken und ihn zu bitten, daß er es mir noch recht, recht lange erhalten möge! Es hätte der äußern materiellen Zeichen eurer Liebe am gestrigen Tage wirklich nicht bedurft, um mich recht voll und tief des herrlichen Schatzes eurer Elternliebe erfreuen und genießen zu lassen. Ich weiß, daß ihr gewiß an meinem ganzen Festtage so mit Herz und Sinn bei mir gewesen seid, wie ich bei euch, und daß ihr mit mir für mich zu Gott gebetet habt. Doch auch für jene äußern Liebeszeichen habt den besten Dank; sie haben mich um so mehr erfreut, als sie ganz unerwartet kamen. ||

Die wohlbekannten kleinen Küchelchen, liebe Mutter, haben mir so wohl geschmeckt (und werden dies noch lange thun, da ich täglich höchstens 2 opfere) daß ich immer die herzliche Liebe mitzuschmecken c meine, mit der du beim Backen derselben an mich gedacht hast. Die trefflichen Pfannekuchen sind noch alle am Leben (bis auf 4), da am Geburtstag selbst microscopischer Cours für meine Freunde war, so daß sie erst spät hätten kommen können. Übrigens haben wir noch am Abend zusammen gekneipt. Dafür werde ich den Sonntag Nachfeier halten, wo ich zu den Pfannekuchen eine Bowle zusammenzubrauen versuchen will und dazu jenen netten Freundescircel, mit dem ich Weihnachten feierte, einladen will. –

Du freust dich, liebe Mutter, daß ich an Hein einen Herzensfreund, wie ich ihn mir längst gewünscht, gefunden habe. Zum Theil ist das allerdings richtig. Ich wenigstens wüßte unter allen Altersgenossen keinen, den ich in diesem Maße liebe und achte. Es ist wirklich ein garzu lieber Mensch, für mich das wahre Ideal eines Studenten, wie er sein soll (wie ich aber leider gar nicht bin!). Was ich besonders an ihm bewundere, ist, daß er in allem das rechte Maß zu halten versteht, im Arbeiten, wie im Vergnügen, in der Zeit, die er zu seiner eignen Ausbildung, wie in der, die er auf den Umgang mit andern Menschen verwendet. Trotzdem er grade kein besonders ausgezeichnetes Genie ist (obwohl ein sehr klarer und offner Kopf) und auch nicht einen unsinnigen Fleiß entwickelt, (der durch zu große Anstrengung selbst wieder entkräftet) lernt und weiß er doch ungemein viel, kommt in allen Collegien d dem Vortrage vollständig nach und ist immer und überall bewandert und zu Hause, was man auch fragen mag. Dabei genießt er sein Studentenleben so recht mit jugendlicher Frische, mit immer heitern, offnen Sinn, wie ich es mir immer als Ideal aus e male, das ich gar zu gern verwirklichen möchte, wenn sich mir nicht tausend „Abers“ entgegen drängten. So machte er z. B. jede Ferien, trotzdem er grade keinen splendiden Wechsel bekommt, allerliebste, höchst lehr- und genußreiche Reisen, hat mit sehr wenig Geld in Gesellschaft mehrerer Freunde 1 wundervolle Alpenreise gemacht etc. || Merkwürdig ist es auch, wie er von allen, die ihn nur irgend, näher oder ferner kennen, geachtet und geliebt ist, von Studenten, wie von Professoren. So ist er z. B. sehr oft bei Schenks (wo ich erst am vorigen Sonntag wieder mit ihm zusammen war), bei Virchows etc, obgleich er hier nicht förmlich eingeführt ist. So weiß er auch ungemein gut mit allen Leuten umzugehen, und gewinnt sie sogleich durch sein einnehmendes freundliches Wesen. Nur von wenigen ist er ungern gesehen, und dies sind jämmerliche Individuen, wie z. B. ein höchst frecher Jude mit dem er voriges Jahr ein Duell hatte, was ihm durch seinen glücklichen Ausgang Ruf als muthiger Mann verschaffte. Und so könnte ich euch noch eine Menge trefflicher Eigenschaften dieses lieben Menschen aufzählen, wenn ihr an den vorerwähnten noch nicht genug habt (z. B. ist er auch sehr musicalisch etc). Das Einzige, was f meiner exclusiven Richtung nicht zusagt, ist, daß er eher zu viel gute Freunde hat und mit allen Leuten gut auskömmt; was ich nicht einmal möchte, wenn ich es auch könnte. Da ich nun von allen jenen Tugenden (Mäßigung, Ruhe, Muth, Selbstvertrauen, Hoffnung, Liebenswürdigkeit etc) durch die Hein ausgezeichnet ist, fast nichts besitze (wenngleich ich sie zum Theil gern besitzen möchte) so könnt ihr euch leicht denken, daß er an mir kein so großes Gefallen findet, wie ich an ihm, und daß ich nicht in dem Grade sein Freund bin, wie g er der meinige ist. Auch hat er einen Kreis von 3–4 Freunden (eben jene, mit denen ich am Weihnachtsabend zusammen war), die weit trefflichere und bessere Leute sind, als ich und ihm deßhalb auch viel näher stehen. Jedoch giebt er sich auch alle Mühe, mit mir etwas anzufangen (z. B. sucht er mich mit andern bekannt zu machen, kommt oft Abends, wenn ich ganz allein bin, zu mir, um 1 Parthie Schach zu machen (wo ich gewöhnlich in 3 Fällen 2mal verliere) u.s.w. Besonders nahe bin ich ihm dadurch gekommen, daß wir auch öfter religiöse und überhaupt gemüthliche (d. h. im höhern Sinn!) Gespräche gehabt haben. Zu Ostern geht er leider nach Berlin. Nehmt ihn nur ja freundlich auf; er wird euch auch gefallen.

Medium tenuere beati! ||

18/2 54.

Um meine Vorsätze auch wirklich einmal zu verwirklichen, habe ich gleich die ersten beiden Tage meines 21sten Lebensjahres recht munter und hoffnungsvoll angetreten, wie ich überhaupt schon in den letzten Wochen immer in einer ziemlich fidelen Stimmung mich befand, was ich allein dem Vortrage verdanke, den ich im medicinischen Kränzchen zu halten gezwungen bin. Dieser hat mir nämlich nach langer Zeit, in welcher ich der Botanik, anderen Sternen, besonders der Zootomie, folgend, etwas ungetreu geworden war, wieder einmal recht tief in diese herrliche Lieblingswissenschaft einzudringen Gelegenheit gegeben und zwar grade in eins der interessantesten Felder, welches mir bisher ziemlich unbekannt war, in die subtile Kryptogamen Kunde. Nachdem ich den Vortrag über Pflanzengeographie aufgegeben, wandte ich mich der Lehre von der Befruchtung dieser höchst interessanten Pflanzen zu, welche bis jetzt noch sehr in Dunkel gehüllt war und woh erst durch die neuesten Entdeckungen ganz neue und höchst glänzende und merkwürdige Resultate erzielt worden sind. Namentlich habe ich da ein ganz neues, von Schenk geborgtes Werk von Hofmeister studirt, welches mich in die höchste Bewunderung, das größte Staunen und Entzücken versetzt hat, sowohl durch die neuen großartigen darin enthaltenen Entdeckungen, als durch den wirklich unübertrefflichen Grad von Gründlichkeit und Genauigkeit, der in der Untersuchung der Entwicklung jeder einzelnen Zelle sich zeigt und ganz für deutschen unermüdlichen Fleiß characteristisch ist. i Freilich hat diese classische Arbeit mit ihren höchst subtilen j microscopischen Untersuchungen auch dem Verfasser fast sein ganzes Augenlicht gekostet, so daß er jetzt fast gar nichts mehr sehen kann. Nur gut, daß er wenigstens sehr vermögend ist! Dieser merkwürdige Mann war früher Buchhändler in Leipzig und besorgte am Tage seine Geschäfte, während er die Nacht durch zur microscopischen Untersuchung der Moose, Farnkräuter etc und ihrer merkwürdigen Lebens- und Fortpflanzungserscheinungen verwandte. Später gab er sich ganz diesem herrlichen Fache hin, verdarb sich dabei aber durch allzu feine und anstrengende Präparationen seine ganzen Augen. Dafür hat er freilich 1 classisches Werk geliefert. ||

Bei dieser Gelegenheit habe ich auch mehrere andere schöne botanische Specialwerke gelesen, namentlich Schachts Pflanzenzelle, ein nicht minder ausgezeichnetes Werk, welches auf A. v. Humboldts Empfehlung die goldne Medaille erhalten hat, und welches ich mir zum Geburtstag für die 5 rℓ, die ihr mir geschenkt, anschaffen will. Es war 1 längstersehnter Schatz, aus dem ich sehr viel lernen kann. Habt den schönsten Dank dafür! –

Ich kann euch gar nicht sagen, welche hohe Seligkeit das ist, wenn ich einmal, wie bei dieser Gelegenheit, mich ganz ungehindert in diese Schätze vertiefen kann. Es hüpft mir dann immer im eigentlichsten Sinne des Worts das k Herz im Leibe und ich möchte laut aufjubeln, vor allem aber euch selbst diese reine Freude mitempfinden lassen können. Solche Seligkeit habe ich jetzt auch öfter genossen, wenn ich mir auf der Universitätsbibliothek (hinter deren ordentlichen Nutzen und Benutzung ich erst jetzt gekommen bin, so daß ich täglich fast 1 Stunde da bin) kostbare Prachtwerke angesehen habe, z. B. Humboldts Atlas pittoresque von seiner Reise, vue des Cordillères, novae species plantarum, Plantae aequinoctiales etc, dann Cordas Prachtflora der Pilze und Schimmelbildungen, vor allen aber ein Ding was ich wirklich verschlungen habe und gar nicht satt kriegen kann. Es sind dies die wegen ihrer großen Naturtreue sehr von Humboldt gelobten „Vegetationsansichten von Kittlitz“; 24 Stahlstiche in Atlasform, welche Landschaften aus dem stillen Meer und überhaupt den Tropengegenden darstellen, und worin die wundervolle Tropenvegetation wirklich zum Verlieben schön und reizend dargestellt ist. Ich bin auch wirklich ganz vollständig verliebt in diese Pracht der Tropenpflanzen, kann mir mein größtes Glück nur darin denken, sie einmal Angesicht von Angesicht zu genießen, und bin dadurch wirklich in eine fixe Idee, wenn ihr es so nennen wollt (meine Freunde nennen es „sanguinische Tollheit“), tief hineingerathen, welche mir, obgleich ich selbst an ihrer Ausführbarkeit zweifeln muß, doch insofern unendlich werth ist, als ich jetzt wieder darin 1 festen Angelpunkt habe, um den sich alle meine Wünsche für die Zukunft drehen, und an dem sich die herrlichsten buntesten Luftschlösser und Phantasiegemälde aufbauen können. || Es will dieser kühne Wunsch, von dessen Ausführung ich jetzt Tag und Nacht träume, Nichts mehr und Nichts weniger, als wirklich die schon als Kind gehegten Träume von einer großen Reise in die Tropen verwirklichen, was also nichts Neues, sonders etwas ganz Altes ist. Nur treten diese Gedanken l Recidive, wie alle Rückfälle, mit verstärkter Heftigkeit auf und sind jetzt nach den Umständen in etwas eigenthümlicher Weise modificirt. Da mir nämlich mein Verstand folgendes bei ruhiger Überlegung sagt: „Du hast nicht die Mittel, eine solche Reise auf eigne Kosten zu machen, du hast nicht die Fähigkeiten und Talente, um sie auf Staatskosten (etwa vermittelst eines Reisestipendiums) machen zu können, du hast endlich einen kranken Fuß, der dir diese Reise als Wanderung zu Fuß zu machen verbietet – auf der andern Seite siehst du wohl, daß mit dir in Deutschland, namentlich als practischer Arzt, nichts zu machen ist“ – in Erwägung nämlich dieser kalten Gedanken habe ich folgenden heißen Plan entworfen (lacht nicht darüber!): Ich studire jetzt nothdürftig meine Medicin fertig, so daß ich den Dr. machen kann, vervollkommne mich in Botanik, Zoologie, Mikroscopie, Anatomie etc soviel möglich und suche dann eine Stelle als Schiffsarzt zu bekommen, um freie Überfahrt nach irgend einem Tropenlande (nach Brasilien, Madagascar, Borneo oder irgend ein anderes) zu erhalten, wo ich mich dann mit meiner Frau (nämlich meinem unzertrennlichen Microscop) in einen beliebigen Urwald hinsetze und nach Leibeskräften Thiere und Pflanzen anatomire und microscopire, alle möglichen zoologischen botanischen geographischen etc Kenntniße und Entdeckungen sammle, so daß mir diese Stoff genug geben, um etwas ordentliches zu leisten. Nahrungsmittel findet man dort hinreichend im Urwald (wie schon 1 einziges kleines Stückchen mit Pisang bepflanzt für die Erhaltung eines einzigen Menschen genügt); nöthigenfalls verdiene ich mir das Nöthige durch Quacksalberei als practischer Arzt (!) Wundarzt (!!) und Geburtshelfer (!!!) unter den Indianern. Habe ich mich dann 1 paar Jahre lang hinlänglich an der herrlichen Flora und Fauna der Tropen satt gegessen und studirt, so versuche ich auf dieselbe Weise wieder zurück zu kommen, und kann dann entweder doch noch 1 Privatdocentenstelle erhalten, oder mir sonstwie durch Scribereien ein nothdürftiges Brot verdienen! –

Lache nicht, teurer Vater, ängstige Dich nicht, liebste Mutter, wenn Ihr diesen colossalen Blödsinn lest. Noch ist die Ausführung desselben nicht da! || Vorläufig male ich mir das Robinsonsche Project nur mit den schönsten meiner Phantasie zu Gebote stehenden Farben aus, weil es mir die einzige Art und Weise zu sein scheint, in der noch etwas aus mir werden kann, obgleich ich selbst an der Möglichkeit der Ausführung zweifle. Dieser Traum, dies schöne goldne Luftschloss befriedigt aber meinen Sinn gegenwärtig in jeder Weise. Er zeigt mir nämlich einen festen Zielpunkt, auf den ich lossteuern muß, er spiegelt mir die Verwirklichung meiner Lieblingswünsche vor, er spornt mich an, mich in den Lieblingswissenschaften möglichst zu vervollkommnen, er zwingt mich endlich moralisch, die verhaßte Medicin bis zu Ende fortzutreiben. In jeder dieser Hinsichten, namentlich aber in der letztern, kann dieser schöne Traum, mir nur nützlich sein, wenn auch aus ihm selbst nichts werden sollte, wie ich fast fürchte. Jedenfalls ist es noch lange Zeit bis dahin, wo ich mich definitiv entscheiden muß. Ich sehe aber wirklich nicht ein, wie ich anders zu etwas kommen sollte. Auch tritt mir diese fixe Idee mit jedem Male, wo ich irgend etwas dahin einschlagendes sehe oder lese (wie z. B. gestern, wo ich mit dem größten Entzückenm die Abbildungen tropischer Landschaften und Bäume in dem Prachtwerk von Martius über die Palmen angesehen habe) nur um so lebhafter und eindringlicher entgegen, so daß ich mich schon ganz darin eingelebt habe und wie vernarrt darin bin. –

Doch genug hiervon! – Wie steht es denn mit meiner Militaerangelegenheit, lieber Vater? Ich möchte dich doch recht sehr bitten, sie möglichst bald zu beendigen, damit ich die Gewißheit habe, Ostern nicht in meinen Arbeiten gestört zu werden. Schicke nur jedenfalls vorläufig das Gesundheitsattest ein. Später hat das keinen Nachtheil. Bis dahin kann sich noch viel ändern. Schlimmstenfalls diene ich 1 Jahr als Compagniepflasterkasten in 1 Spital, was gar nichts schaden kann. –

Gestern bekam ich mit einem Mal nicht weniger als 6, lauter sehr nette und liebe treue Briefe, und zwar 1) von Carl und Mimmi 2) von Finsterbusch (der sich jetzt vorwiegend zum Geschichtsstudium hinneigt, das ihn ungemein anzieht) 3) von dem lieben Merseburger botanischen Kleeblatt Weiss Weber Hetzer, die letzten sind doch wirklich ungemein anhängliche und treue Seelen, wie ich es früher ja kaum gedacht hätte. In Ziegenrück geht es gut. Nur Schade, daß der arme Karl so viel zu thun hat, Miesechen schickt mir eine allerliebste Beschreibung von meinem kleinen lieben Pathchen mit! –

Nun, liebste Eltern, nochmals für alle eure Liebe und besonders noch Dir, herzliebes Mütterchen, den herzlichsten Dank von eurem treuen Ernst H.

a korr. aus: des; b korr. aus: verb; c gestr.: be; d gestr.: mit; e gestr.: f; f gestr.: se; g gestr.: ich; h eingef.: wo; i gestr.: D; j gestr.: auch; k gestr.: Hoch; l gestr.: rück cedi; m korr. aus: Entzückungen

Brief Metadaten

ID
37491
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Bayern
Datierung
18.02.1854
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
13,9 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37491
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte; Würzburg; 18.02.1854; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_37491