Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 18. Januar – 1. Februar 1886

Potsdam 18/1 86.

Mein lieber Ernst!

So sehr ich auch fühle, daß ich nicht vermag mich schriftlich mit meinen Lieben in Jena zu unterhalten, da ich sie ja nicht sehn kann, so kann ich es mir doch nicht versagen, und versuche hiermit mich noch einmal mich über manches, was mich bewegt a mit Dir und Deiner lieben Agnes auszusprechen. Schmerzlich ist es mir, daß die Schwächen meines hohen Alters mich thätsächlich von Allem, was meinen Kindern und Enkeln bewegt abschließt; und doch beschäftige ich in meinen Gedanken viel mit Ihnen, und wünsche Allen das beßte Wohlergehn. So gerne ich auch den Meinigen manichmal eine kleine Freude machen möchte, so ist es doch nicht möglich: meine steifen Finger können nicht mehr arbeiten, und ich kann auch Nichts besorgen. ||

26/1.

Von den mancherlei Entbehrungen und Beschwerden, die das hohe Alter mir bringt, ist mir wohl das schmerzlichste, daß ich meinen Kindern und Enkeln so gar nichts mehr sein kann, nicht mal an ihren Geburtstagen ihnen eine kleine Freude machen kann, ist es da nicht natürlich, daß die Jugend, die sich auch in ihren Gedanken nicht darin versetzen kann, in den Unbemerken der Geburtstage ein Mangel an Liebe sehn muß; und doch beschäftigt sich das alte Herz noch immer lebhaft mit dem Wohlergehn ihrer Kinder und Enkel; und möchte an demselben Theil nehmen. ||

Besonders wichtig scheint mir jetzt zu sein, wie Ihr in der nächsten Zeit über Lisbets Entwickelung entscheiden werdet; wenn sie den Schulunterricht beendet hat. Vor allen Dingen scheint es mir nöthig, daß Sie dahin geführt wird an sich selbst zu arbeiten. Doch ich bin ja zu wenig, mit ihr zusammen gewesen, als daß ich mir ein richtiges Urtheil über sie machen könnte, ich fürchte sehr, daß sie selbst noch viel innere Kämpfe durch zu machen hat, sie scheint mir von Natur begabt, aber wie ein wild aufgewachsener Baum. ||

Mich beschäftigt jetzt der Gedanke sehr, was Du und Agnes für die nächste Zeit über Lisbeth Entwickelung beschliessen werdet, und ich bitte Euch sehr: mir hierüber mal zu schreiben was Ihr bestimmen werdet: wenn ich mir auch wohl bewußt ist, daß ich nicht darüber zu bestimmen habe und überhaupt ausgelebt habe, so habe ich doch daß Bewußtsein, daß grade dadurch das ich eine stille Beobachterin bin, eine klarere Ansicht über manche Lebenserscheinungen haben kann, als diejenigen, die noch || ganz dem Leben angehören, und auch, daß ich Euch, meinen lieben Kindern noch über mancherlei Lebensverhältnisse Mittheilung machen kann. Agnes bitte ich sehr, wenn Ihre Zeit es erlaubt, daß sie mir mal über die Kinder etwas schreibt; beschäftige ich mich doch so viel mit ihnen, obgleich ich sie ja nur so wenig sehe. –

Hoffentlich habt Ihr auch von Walter immer gute Nachricht. ||

Montag

Eben brachte mir Karl Deinen lieben Brief, wofür ich Dir herzlich danke. Deine Versicherung Eueres Wohlergehns erfreut mich sehr, hatte ich doch noch immer Sorge, daß es Deiner lieben Frau nicht so gut gehe, als ich es Ihr wünsche, um so mehr hat Dein Brief mich erfreut. Den Tod der Frau Seebeck hatte ich schon durch die Zeitung erfahren, und dabei auch viel Deiner gedacht, Dein Leben in Jena war ja in vieler Hinsicht verbunden mit Seebeck. – ||

So gerne ich auch noch etwas mit Dir plauderte, so läßt doch mein dummer Kopf es nicht zu, und ich denke mein lieber Professor wird es auch überdrüssig sein, solch Frauengeschwätz langer zu hören, nun trotz aller Gelehrsamkeit bleibst Du doch mein lieber Herzenssohn.

Sei innig gegrüßt mit Frau und Kinder von

Deiner

alten, gebrechlichen

Mutter

Lotte Häckel

a gestr.: gegen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.02.1886
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 37010
ID
37010