Charlotte Haeckel an Agnes und Ernst Haeckel, Potsdam, 4. – 15. Februar 1885

Potsdam 4/2 85.

Liebe Agnes!

Dein lieber Brief hat mich heute so sehr erfreut, daß ich gerne Dir gleich meinen Dank dafür sagen möchte, obgleich es bei meinem kröpelichen Befinden etwas gewagt ist: sich noch schriftlich mitzutheilen.

Wenn auch im hohen Alter die geistige Frische und die körperliche Kraft immer mehr das Schreiben verbietet, so bleibt doch die Theilnahme und Liebe immer unverändert. Seit Euer letztes Hiersein beschäftigt mich viel das Andenken an Deine Kinder und ich möchte so gerne Euch Lieben mal alle um mich haben, und mit Euch so Manches besprechen. – Herzlich danke ich Dir, daß Du in dem heute erhaltenen Brief dich mit ||

Lieber Herzens Ernst!

Obgleich Du aus diesen an Agnes angefangenen Brief siehst, daß es mit meinem Schreiben durchaus nicht gehn will, so kann ich es mir doch nicht versagen, und spreche Dir hiermit meine herzlichsten Wünsche zu Deinem Geburtstag aus. Da tritt natürlich in den Fordergrund [!] der, daß Du mit Deiner lieben Frau Dich an der geistigen Entwickelung Euerer Kinder noch recht erfreuen mögst. Mir ist es ein großes || Entbehren, daß ich nicht mehr zu Euch kommen kann; doch mit meinen Gedanken und Liebe beschäftige ich mich viel mit Euch und Eueren lieben Kindern, die ich ja in den letzten Jahren, wo ich nicht mehr reisen kann so selten nur noch sehn kann, und Euer letztes Hiersein war nur so flüchtig, klein Emma war ja gar nicht mit. Dein Walter war so auffallend still, aber hat mir doch den Eindruck gemacht, als könnte ich mit ihm manches besprechen. Nun || wenn es Gottes Wille ist, daß ich noch länger leben soll, so bringt ihr mir die Kinder auf längere Zeit. Dich und Agnes bitte ich dringend: es mir nicht übel zu nehmen, daß ich mich so offen über die Kinder ausgesprochen habe; aber es liegt mir so sehr am Herzen; ist es mir doch auch Bedürfniß das Wohl der Kinder mit Euch zu berathen. Besonders wollt ich Dich und Agneß bitten: daß Ihr die Entwickelung Eurer Lisbeth mit Ernst nehmt. ||

Lisbet scheint mir von der Natur begabt zu sein, aber ich fürchte sie wird im Leben noch schwer mit sich kämpfen müssen, ehe sie lernt: sich selbst zu a beherrschen. Ich glaube klein Emma wird es leichter haben, doch ich muß für heute aufhören; der alte dumme Kopf will nicht mehr. – – –

15/2 Da ich doch gerne mögte, daß Du zu Deinem morgenden Geburtstag einen Gruß von Deiner alten Mutter bekommen sollst, so muß ich dieses Blättchen schließen mit den innigsten Wünschen || für Dein und Deiner Liben [!] Wohlergehn: Gott gebe Euch Allen recht viel Freude, Gesundheit und Wohlergehn! vor Allem an den Kindern!

Dabei füge ich die Bitte, daß Ihr die alte kröpliche Frau lieb behaltet, und wenn ich noch leben muß, bald mal zu mir kommt.

Möge das neue Lebensjahr, das Du morgen beginnst Dir viel frohe Stunden geben, und behalt lieb Euere

alte kröpliche

Mutter Lotte.

a gestr.: bekämpfen

Brief Metadaten

ID
36996
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
15.02.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,0 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36996
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Potsdam; 15.02.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36996